Circular Westend –

Projektrahmen Circular Westend
Das Projekt Circular Westend widmete sich von 2021–2024 der Frage, wie es gelingen kann, in einer Großstadt wie München dem Kreislaufdenken und -handeln in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu maßgeblicher Bedeutung zu verhelfen. Dies wurde an den Bereichen Ernährung und Versorgung beispielhaft erforscht: Wie und welche Kreisläufe im Bereich der Ernährung und der Nahrungsmittelversorgung können im Quartier geschlossen werden? Welche Rolle spielt dabei das soziale Miteinander in einer Gesellschaft?
Die Rolle des Quartiers
Eine Großstadt wie München ist Zentrum menschlichen Zusammenlebens, der Produktion und des Konsums. Das macht sie zu Kristallisationspunkten für die Probleme des linearen kapitalistischen Wirtschaftsmodells. Umweltbelastungen, wirtschaftliche Abhängigkeiten und Versorgungsrisiken sind dabei in Städten oft besonders stark spürbar.
Gleichzeitig bieten Städte durch ihre Nahräumlichkeit und Dichte gute Voraussetzungen, um technische und biologische Kreisläufe lokal zu schließen. Zudem erfordert und ermöglicht die Vielfalt an Akteurinnen, Ressourcen und Wissen die Etablierung einer Circular Society.
Quartiere lassen sich als kleine Städte innerhalb der Großstadt definieren und sind Hebelpunkte bei der Übertragbarkeit neuer Lösungsansätze auf die gesamte Stadt. Das Westend eignet sich aus vielerlei Gründen besonders gut für dieses Projekt:
Neben der Geschichte als ehemaliges Arbeiter*innenviertel macht das vielfältige Angebot an Einkaufsmöglichkeiten, das große Engagement der Bürger*innen für ihr Wohnumfeld, die Einwohner*innendichte und die Diversität der Bevölkerung das Westend als Pilotquartier besonders interessant.

Vision und Leitlinien des Projekts
Hinter dem dreijährigen Projekt Circular Westend und seinen vielen Aktivitäten stand eine klare Vision:
Im Westend gibt es ein nachhaltiges und sozial gerechtes Ernährungssystem im Sinne einer Circular Society.
Mit Blick auf dieses Ziel verfolgte das Team drei Transformationsstränge: Aktivieren & Vernetzen, Gemeinschaftliche Orte, Advocacy. Diese drei Wege zum Ziel waren ein wichtiger Orientierungspunkt für die verschiedenen Aktionen, Events und Forschungsphasen des Projekts.
Aktivierung und Vernetzung
Dieser Transformationsstrang zielt darauf ab, Menschen und Initiativen aus dem Quartier zu aktivieren und in den Austausch über das Thema Ernährung und Circular Society zu bringen.
Gemeinschaftliche Orte
Dieser Transformationsstrang zielt darauf ab, gemeinschaftliche Orte der Ernährung und Versorgung im Quartier zu etablieren.
Advocacy
Dieser Transformationsstrang zielt darauf ab, das Projekt mit seiner besonderen Herangehensweise über das Quartier hinaus zu verbreiten und u.a. in die Münchner Stadtpolitik und Verwaltung zu tragen.
Projektentwicklung
Um Menschen und Initiativen aus dem Quartier zu aktivieren und in den Austausch über das Thema Ernährung und Circular Society zu bringen, gestaltete das Projektteam vielfältige Aktionen: Recherchephasen und Interviews rund um das Ernährungswissen im Westend, interaktive Ausstellungen, Sommerpicknicks, die Einrichtung eines Küchencontainers als Bildungs- und Begegnungsort sowie die Entwicklung einer Ernährungswerkstatt.
In diversen Kooperationen arbeitete das Projektteam an einem gemeinschaftlichen Ort der Ernährung und der Versorgung. Als Orientierungspunkt diente dafür das Konzept des „Lebensmittelpunkts“, an dem unterschiedliche Aktivitäten zum Thema gerechter und ökologischer Lebensmittelversorgung zusammengebracht werden. Um das Konzept erfahrbar zu machen, organisierte das Team Aktionen auf dem Flohmarkt, an der Klima.Dult sowie bei der Initiative „Westend kocht“. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Zu Tisch im Westend“ diskutierten die vielen Beteiligten, wie ein gemeinschaftlicher Ort solidarischer Versorgung aussehen kann.
Ein wichtiger Teil der Projektarbeit war auch die Verbindung von Fragen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit. Um diese über das Quartier hinaus zu verbreiten, besuchte das Team immer wieder Veranstaltungen, hielt Präsentationen und nahm an Austauschformaten teil. Der Austausch mit Netzwerken wie Circular Munich und „Zirkuläre Quartiere“ sowie mit Akteuren wie dem Ernährungsrat München und dem Referat für Klima und Umwelt war hierfür zentral. Zum Thema entstand ein praxisnahes Projektpapier.
Projekteinblicke

Zu Beginn des Projekts führte das Projektteam verschiedene Aktionen im Quartier durch, um mit Bewohner*innen und Organisationen in den Austausch zu kommen, Wissen aufzubauen und so mehr über die Strukturen im Westend und ihre Bewohner*innen herauszufinden. So konnten in Gesprächen und Interviews konkrete Bedarfe, aber auch Potenziale identifiziert werden.

Von September bis Anfang November 2022 führte das Projektteam Interviews mit unterschiedlichen Akteur*innen aus dem Quartier sowie Recherche-Aktionen durch. Damit sollte der bereits vorhandene Wissenspool um das Ernährungsverhalten und unterschiedlichen Praktiken der Bewohner*innen des Quartiers angereichert werden. Das Team sammelte in Gesprächen wichtige Erkenntnisse über das Einkaufsverhalten -und kriterien, den Zugang zu (nachhaltigem) Essen und Wissensstände bzw. Haltungen gegenüber Lebensmitteln. Damit konnten konkrete Wünsche und Bedürfnisse im Quartier und damit mögliche Ansatzpunkte gesammelt werden.

Der mobile Küchencontainer von Über den Tellerrand e. V. reist seit 2016 durch europäische und deutsche Städte und lädt Menschen mit und ohne Fluchthintergrund ein, sich beim gemeinsamen Kochen und Essen kennenzulernen. Im April 2022 betrieb das Projektteam Circular Westend den Container als Bildungs- und Begegnungsort für nachhaltige Ernährung auf der Theresienwiese. Ein abwechslungsreiches Programm mit vielfältigen Formaten beleuchtete unterschiedliche Aspekte eines nachhaltigen Ernährungssystems im Quartier.
Vom 27. März bis zum 18. Mai 2024 veranstaltete das Projektteam Circular Westend gemeinsam mit vielen Partner*innen aus dem Quartier die Veranstaltungsreihe „Zu Tisch im Westend“. Sowohl in den Diskussionsformaten als auch in den Kochveranstaltungen wurden Fragen diskutiert wie: Wie kann solidarische Versorgung funktionieren? Wie kann sich ein gemeinschaftlicher Ort der Versorgung selbst tragen? Welche Bedarfe gibt es dabei wirklich? Mit der Veranstaltungsreihe konnten Gelingensfaktoren für die Entwicklung eines gemeinschaftlichen Orts der Ernährung identifiziert werden und die verschiedenen Aspekte eines solchen Orts erlebbar gemacht werden.
Das Teilprojekt „Ernährungswerkstatt“ machte durch Ernährungsbildung Zusammenhänge im Ernährungssystem transparent, zeigte Begrenzungen und Widersprüche auf und bereitete Wissen alters- und zielgruppengerecht mit engem Praxisbezug auf. Die hohe Relevanz von Ernährungsbildung kam immer wieder in persönlichen Gesprächen im Quartier zur Sprache. Gemeinsam mit dem Kooperationspartner überkochen e. V. entwickelte das Projektteam Circular Westend das Konzept „Ernährungswerkstatt“ und setzte dieses als Pilotprojekt an der Carl-von-Linde-Realschule in einer siebten Klasse im Fach Ernährung& Gesundheit um. Um das Thema Ernährung für die Schüler*innen auch konkret erleb- und erfahrbar zu machen, legte das Projekt den räumlichen Fokus auf die Umgebung der Schule.

Ein wichtiger Ansatzpunkt des Projekts war die Initiative „Das Westend kocht“. Diese bringt, initiiert durch Pfarrer Bernd Berger, einmal im Monat Menschen aus dem Westend und darüber hinaus zum gemeinsamen Kochen und Essen zusammen. Monatlich kommen hier etwa 60 Personen zusammen und kochen und essen gemeinsam. Die Initiative schafft es dabei, sehr viele ganz unterschiedliche Menschen mit den Aktionen zu begeistern.
Bei regelmäßigen Besuchen von „Das Westend kocht“, einer Kochinitiative, die sich während der Corona-Pandemie gebildet hat, konnte das Projektteam viele Anschlusspunkte zum Thema der ökologisch und sozial gerechten Ernährung finden. Einige Male übernahm das Projektteam die Planung und Durchführung der Veranstaltung. Dabei hatte das Projektteam auch die Gelegenheit, mit den Besucher*innen über das Projekt und das Konzept eines gemeinschaftlichen Orts der Ernährung für das Westend zu sprechen. Es ergaben sich wertvolle Hinweise, Eindrücke und Möglichkeiten, die im weiteren Verlauf hilfreich für die Entwicklung des Lebensmittelpunkts waren.
Wirkung
Das Projekt Circular Westend konnte gemeinsam mit zahlreichen engagierten Partner*innen einen Beitrag dazu leisten, die Themen Ernährungsgerechtigkeit sowie die untrennbare Verbindung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit sichtbar zu machen und praktisch zu verankern. Das Projekt hat aufgezeigt, dass eine zukunftsfähige Ernährung nicht nur ökologische Anforderungen wie Klimaschutz und Ressourcenschonung berücksichtigen muss, sondern ebenso soziale Aspekte wie Teilhabe, Gerechtigkeit und Zugang für alle Menschen in den Mittelpunkt stellt. Die vertrauensvolle und vielfältige Zusammenarbeit mit Akteur*innen aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Verwaltung und lokaler Wirtschaft war dabei eine zentrale Säule des Erfolgs.
Die Wirkungsnarrative zeichnen den Weg nach, auf dem gemeinsame Veränderungen angestoßen und neue Perspektiven für eine gerechtere und nachhaltigere Ernährungskultur im Quartier eröffnet wurden.

Das Projekt wirkte durch den regelmäßigen Austausch in verschiedenen Netzwerken und Veranstaltungen, wie etwa den Netzwerktreffen von Circular Munich. Dabei wurde kontinuierlich aufgezeigt, wie soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit miteinander verknüpft werden können – ein Impuls, der zunehmend von anderen Akteur*innen aufgenommen wird. Während viele Partner*innen anfangs vor allem eines der beiden Nachhaltigkeitsziele im Fokus hatten, zeigte der Projektverlauf, dass beide Ziele Hand in Hand gehen.
Diese Entwicklung wurde besonders in der veränderten Gesprächskultur sichtbar: Themen der sozial-ökologischen Nachhaltigkeit und Ernährungsgerechtigkeit fanden zunehmend Beachtung im Diskurs. So konnte das Projekt dazu beitragen, den Nachhaltigkeitsdiskurs in München weiterzuentwickeln. Dafür wurde das Projekt 2023 mit der Auszeichnung „Wirkung“ des Netzwerks Circular Munich gewürdigt.
Im Projektverlauf zeigte sich die Idee eines gemeinschaftlich getragenen Orts, der als Lebensmittelpunkt fungieren könnte, als vielversprechend für das Quartier. Verschiedene Organisationen äußerten das Bedürfnis nach einer solchen Infrastruktur, vor allem nach einer gemeinschaftlich nutzbaren Küche. Zugleich zeigten sich jedoch Hürden: Die meisten potenziellen Mitgestalter*innen waren durch ihre alltägliche Arbeit stark eingebunden und konnten sich nicht langfristig an der Entwicklung eines solchen Ortes beteiligen. Eine zentrale Erkenntnis des Projektteams war daher, dass bereits für die Konzeptionsphase finanzielle Mittel erforderlich wären, um eine breite Mitgestaltung zu ermöglichen.
Ein entscheidender Impuls gelang durch die Zusammenarbeit mit dem Münchner Ernährungsrat (MER). Durch verschiedene gemeinsame Aktionen wurde eine vertrauensvolle Kooperation aufgebaut. Der MER zeigte großes Interesse am Thema, was den Weg für gemeinsame Aktionen ebnete. In Vorträgen und Mitmachaktionen wurde das Konzept des Lebensmittelpunkts (LMP) im Quartier bekannt gemacht. Es wurde deutlich, dass das Thema auf großes Interesse stieß und viele Akteur*innen bereit waren, sich einzubringen.
Während zu Beginn lediglich von einer gemeinsamen Konzeptentwicklung die Rede war, folgten schnell gemeinsame Aktionen. Erste gemeinschaftliche Koch-Aktionen markierten den Übergang von der Idee zur gelebten Praxis. Die Resonanz war überaus positiv – sowohl seitens der Organisator*innen des MER als auch der beteiligten zivilgesellschaftlichen Gruppen.
Schließlich übernahm der Münchner Ernährungsrat das Konzept des Lebensmittelpunkts und plant dessen Weiterentwicklung sowie Übertragung auf weitere Stadtteile. Damit wurde ein bedeutender Grundstein für eine quartiersbezogene, sozial-ökologische Ernährungswende gelegt.
Partner*innen
Für die breite Unterstützung und die gemeinsame Gestaltung wirkungsvoller Ansätze ist das Projektteam sehr dankbar.
Besonderer Dank geht an die Organisationen:
- Ernährungsrat München
- überkochen e. V.
- Initiative „Westend kocht“
- Circular Munich
- Quartiersinitiativen-Netzwerk „Zirkuläre Quartiere“
Publikation

Das Projektpapier „Gemeinsam besser essen – Wie geht gute Versorgung für alle“ untersucht die Potenziale des Quartiersansatzes für das Thema nachhaltige und sozial gerechte Ernährung mit Orientierung am Konzept der Circular Society. Mit dem Projektpapier werden bisherige Erkenntnisse, Gelingensfaktoren und Hürden aus dem Projekt Circular Westend geteilt. Die Publikation soll über die Beschreibung des Projektansatzes hinaus Wege zu einem sozial und ökologisch nachhaltigen Versorgungs- und Ernährungssystem im städtischen Raum aufzeigen.