Stephanie Hobmeier hat Produktdesign an der Kunsthochschule Kassel studiert und für ihre Diplomarbeit „Die Zukunft war früher auch besser“ den Social Design Preis „German Design Graduates“ von der Hans Sauer Stiftung verliehen bekommen. In ihrer Arbeit geht sie der Frage nach, wie sich der Design Beruf und vor allem die Design Ausbildung verändern muss, um zukunftsfähig zu sein. Dabei geht es vor allem darum aktuelle und zukünftige soziale und ökologische Herausforderungen anzunehmen und reflektiert zu gestalten.
Im Interview spricht sie u.a. über die Erkenntnisse ihrer Arbeit, wie sie vorgegangen ist und was sie sich für die Design Ausbildung in Zukunft wünscht.
//10.03.2020
social design lab:
Deine Diplomarbeit trägt den Titel „Die Zukunft war früher auch besser“. Dabei gehst du vor allem der Frage nach, welche Kompetenzen Designer*innen benötigen, um zukunftsfähig und sozialverantwortlich zu gestalten. Was waren deine spannendsten Erkenntnisse?
Stephanie Hobmeier:
Das sind viele… Eine der spannendsten Erkenntnisse war, dass ich im Laufe des Recherche-Prozesses realisiert habe, dass das persönliche Reflexionsvermögen als übergreifende Kompetenz gesehen werden kann. Vor allem da es einen kompetenten Umgang mit Veränderung fördert, die Fähigkeit verstärkt, aus Erfahrungen zu lernen und zu kritischem Denken und Handeln verhilft. Meine wichtigste Erkenntnis war jedoch, dass das Mindset der Gestalter*innen noch eine weitaus wichtigere Rolle spielt, als die unterschiedlichen Kompetenzen und damit die Grundlage bildet.
Am Anfang meiner Arbeit bin ich davon ausgegangen, dass wir mehr Inhalte in der Lehre brauchen und dass es auch schon ein großer Schritt ist, wenn wir mehr über Nachhaltigkeit lernen und Informationen dazu erhalten. Noch relevanter jedoch erscheint mir nun, Reflexion zu fördern und auch dementsprechend Räume zu gestalten, um Reflexion anzuregen.
social design lab:
Wie hast du Reflexion im Studium erlebt und wie sollte eine gute Reflexion deiner Meinung nach aussehen?
Stephanie Hobmeier:
Wenn ich an mein Studium zurückdenke, stand die selbstständige eigenverantwortliche Projektarbeit im Fokus. Was im Grunde viel Potential birgt. In den anschließenden Besprechungen lag der Fokus dann leider fast immer nur auf Funktion, Form und der Gestaltung an sich. Also die Reflexion und Kritik beschränkte sich darauf. Es wäre aber wichtig, die grundsätzliche Reflexion schon viel früher zu fördern.
Das beginnt schon bei der Projektausschreibung. Wenn diese lautet: „Wie kann ein innovativer Hocker aussehen?“, dann wurde damit schon das Ergebnis definiert und die Reflexion im Vorfeld ausgelassen. Man müsste die Projektausschreibungen also anders und offener gestalten bzw. die Reihenfolge der Lösungsfindung und Fragestellung umdrehen, wie es beispielsweise im Transformationsdesign der Fall ist. Das bedeutet also, nicht im ersten Schritt davon auszugehen, dass die Lösung ein Produkt ist und im zweiten Schritt die Frage nach der Gestaltung zu stellen. Anstelle dessen sollte die Frage nach dem Ziel, welches man erreichen möchte im Vordergrund und somit an erster Stelle stehen. Als zweites folgt dann die Lösung, die nicht unbedingt ein Produkt sein muss. Bezogen auf das vorherige Beispiel könnte man beispielsweise als Ziel definieren, dass man Rückenprobleme beheben möchte und erst einmal analysieren warum dies eine Relevanz hat. Dann könnte die Lösung vielleicht eher in der Abschaffung von Stühlen und in der Verkürzung der sitzenden Arbeitszeit usw. liegen. Da der Sinn in den Projektausschreibungen fehlte, lag meine erste quälende Arbeit immer erst darin, meinen persönlichen Sinn in den, von den Professor*innen gestellten Aufgaben zu finden.
Bei den beiden Design-Studiengängen, die ich in meiner Arbeit untersucht habe und welche versuchen, einen anderen Weg einzuschlagen, habe ich beobachtet, dass die Lehrenden eine gemeinsame Vision teilen. Wenn diese fehlt, kann man zwar viele Inhalte in den Stundenplan packen, aber nachhaltig und von Dauer ist das nicht. Deshalb bin ich am Schluss bei meinen Ergebnissen nicht nur auf Kompetenzen eingegangen, sondern auch darauf, wie die Hochschulstruktur aussehen könnte und wie ein Studiengang gestaltet sein, beziehungsweise welche Werte er vermitteln sollte.
social design lab:
Welche Werte sind das und wie muss sich die Design Ausbildung verändern?
Stephanie Hobmeier:
Die Werte ergeben sich, wenn die Reflexion, Initiierung und Mitgestaltung von Veränderungsprozessen in Richtung einer ökosozialen Gesellschaftstransformation als grundlegendes Ziel gesehen wird. Im weitesten Sinn kann man sagen, dass das Design anstreben sollte, eine Verhaltensveränderung in Richtung Nachhaltigkeit herbeizuführen.
Ich finde, es wäre zudem sehr wichtig, abgesehen von den Werten, auch in Designstudiengängen wissenschaftliches Arbeiten zu lehren. Also neben den praktisch-gestalterischen Fähigkeiten, auch analytisch-methodische Fähigkeiten zu fördern und somit einen Umgang mit unvollständigen und komplexen Informationen. Dies ist wichtig, um Unsicherheiten, Risiken und Gefahren besser abwägen zu können und auch einen besseren inter- und transdisziplinären Wissensaustausch zu ermöglichen.
Woran es in der Designausbildung auch oft fehlt, ist die Wertschätzung für längere und langsamere Prozesse. Das kommt aber natürlich auch immer auf die einzelne Hochschule und die jeweiligen Professor*innen an. Vor allem aber fehlt der Realitätsbezug. Es fehlt, dass man wirklich Projekte im konkreten Umfeld der Hochschule angeht, dass man nicht in seinem kleinen Arbeitsraum, in seiner Blase für sich selbst Ideen ausmalt, sondern dass man rausgeht und schaut, was man durch seine Fähigkeiten als Gestalter*in verändern kann. Auch wäre es wünschenswert, Kooperationen und Projekte zwischen gestalterischen Studiengängen und wissenschaftlichen Studiengängen zu fördern und zu ermöglichen. So wird inter- und transdisziplinäres Arbeiten schon im Studium unterstützt, Projekte sind realitätsbezogener und disziplinübergreifende Kommunikation kann so geübt werden.
social design lab:
Wie bist du bei deiner Arbeit vorgegangen?
Stephanie Hobmeier:
Am Anfang habe ich mich gefragt, was Gestaltung und Design überhaupt ist und worin meine Fähigkeiten bestehen. Was hebt Design von anderen Professionen ab und was bedeutet dieser schwammige Begriff Design eigentlich?
In meiner Recherche haben sich viele parallele Themen ergeben. Zum Beispiel gibt es in der Wissenschaft gerade ein Umdenken: Sie soll gestaltungsorientierter werden. Was bedeutet das? Anhand der komplexen Problematiken der heutigen Zeit kann nicht mehr so vorgegangen werden wie bisher, mit Tunnelblick und Scheuklappen. Man muss sich öffnen und dafür gibt es bereits viele neue Konzepte. Reallabore sind da so ein Beispiel aus der Praxis, bei denen man versucht, vor Ort mit den Menschen, die es betrifft, mit Kreativschaffenden und Expert*innen auf nachhaltige Lösungen zu kommen.
Ich habe mich auch stark mit partizipativer Gestaltung beschäftigt und mich selbst auch vor dem Studium in diesem Bereich weitergebildet, mir eine gewisse Methodenkompetenz erarbeitet. Bei meiner Recherche bin ich auf die socialdesign.de Seite gestoßen und somit auf die Hans Sauer Stiftung. Es hat mich gefreut zu sehen, dass ich nicht allein mit meiner Einstellung und Denkweise bin. Das hat mir sehr bei meiner Arbeit geholfen. Meine Professorinnen und Professoren waren sehr traditionell ausgerichtet und fühlten sich schnell angegriffen, wenn man eine kritische Äußerung machte. Deshalb war es sehr kompliziert für mich meine Arbeit anzumelden und Prüfer*innen zu finden, bei denen ich mich mit meinem Thema akzeptiert fühlte. Ich habe letzten Endes eine Prüferin gefunden, die bereits nicht mehr an unserer Hochschule gelehrt hat.
social design lab:
Transdisziplinarität, Interdisziplinarität und Partizipation sind also essentiell für die Arbeit des Designs?
Stephanie Hobmeier:
Meines Erachtens ja. Es gibt einen neuen transdisziplinären Forschungszweig, der sich genau mit diesem Thema befasst: Die Transformationsforschung beschäftigt sich damit, welche Konzepte und Vorgehensweisen benötigt werden, um eine bessere Zukunft zu gestalten und um öko-soziale Gesellschaftstransformation tatsächlich umsetzen zu können. Die Vorgehensweise bei der Gestaltung von Dingen hat sich sehr verändert, die genannten Aspekte gewinnen zunehmend an Relevanz. Wenn man heutzutage für größere Unternehmen und Konzerne, die in Massen etwas produzieren, etwas gestaltet, hat das weitreichende Konsequenzen. Das Hinzuziehen von Expert*innen und potenziellen Nutzer*innen, sowie eine gute Recherche sind Grundlage von Gestaltung. Sonst kreiert man mehr Probleme, als man löst. Auch wenn man im traditionellen Design oder im Industriedesign arbeiten möchte, braucht man Reflexionsvermögen und die Weitsicht, externes Wissen hinzuzuziehen. Die Welt wird immer komplexer und die Konsequenzen des eigenen Handelns sind auch aufgrund der Globalisierung weitreichender.
social design lab:
Was sind für dich Kriterien, wie sich die Rolle des Designs verändern muss?
Stephanie Hobmeier:
Ganz eindeutig kann man das nicht sagen. Ich habe festgestellt, dass Design nicht wirklich ein eigenes theoretisches Wissen hat, sondern mehr ein Methodenwissen und angewandtes Wissen. Designer*innen eignen sich meist projektbezogen Wissen an, indem sie fachfremdes Wissen hinzuziehen. Deshalb sagt man oft, Designer*innen sind Verbinder*innen, weil sie sowohl thematisch als auch zwischen Menschen und Fachgebieten Verbindungen herstellen. Sie können jedoch auch Moderator*innen, Prozessgestalter *innen oder traditionell Kommunikationsdesigner*in sein.
social design lab:
Dann findest du es verwerflich in unserer heutigen Zeit Dinge zu gestalten, die keinen sozialen und ökologischen Mehrwert darstellen?
Stephanie Hobmeier:
Ja, ich finde es ist verwerflich und ich würde es sogar noch etwas kritischer formulieren: Einen Mehrwert zu erzeugen ist notwendig, aber es zu schaffen, keine ökologischen und sozialen Schäden dadurch zu verursachen, ist in meinen Augen die größere Herausforderung. Etwas Positives zu gestalten, das keinen negativen Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft hat, das sollte in meinen Augen das Ziel der Designer*innen sein.
social design lab:
Denkst du, dass Designer*innen dazu beitragen können, Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden?
Stephanie Hobmeier:
Ich würde eher sagen, dass sie nicht unbedingt Antworten finden, aber dazu beitragen können, die richtigen und wichtigen Fragen zu stellen und auf dem Weg der Lösungsfindung zu unterstützen. Damit können gewohnte Wege schneller verlassen werden und der für eine Transformation wichtige Pfadwechsel kann eingeleitet werden. Das denke ich auf jeden Fall. Was dabei aber wichtig ist, sich eine gewisse Demut vor der Komplexität zu bewahren und bedacht vorzugehen.
Designer*innen, die sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, versuchen, reflektiert zu gestalten, ihre Fähigkeiten für wichtige Fragestellungen und Herausforderungen nutzen und in Kooperation mit anderen Expert*innen arbeiten, haben viel Potenzial, etwas zu verändern.
Am Ende meiner Arbeit mache ich die etwas provokante Aussage, dass Designer*innen vielleicht bald aussterben. Damit meine ich, dass diese Auffassung der Profession, die sich viel durch Selbstdarstellung definiert, schwächer vertreten sein wird (hoffe ich zumindest). Andererseits werden die Kompetenzen der Designer*innen in anderen Disziplinen immer mehr gebraucht werden. Die gestalterische Vorgehensweise wird so zum Werkzeug, um komplexe gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen.
// Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Sarah Dost, Hans Sauer Stiftung