social design lab:
Guten Tag, Herr Krois. Im Februar 2015 hat die Hans Sauer Stiftung bereits ein Interview mit Ihnen über den damals von Ihnen und Ihren KollegInnen geplanten Master Glocal Design an der Freien Universität Bozen geführt. Heute heißt der Master Eco-Social Design. Woher kam die Namensänderung?
Kris Krois:
Der Name Glocal Design wurde vom Ministerium in Rom schlichtweg abgelehnt. Mittlerweile sind wir aber sogar ganz froh über den Namen Eco-Social Design, weil wir finden „ökosozial“ bringt die Richtung in einem Wort auf den Punkt. Es geht um gesellschaftlichen Wandel, der ein nachhaltiges, ökologisch verträgliches Leben und Wirtschaften ermöglicht. Die Bestimmung der Richtung fehlt mir bei Begriffen wie Social Design und Soziale Innovationen. Welche soziale Innovation ist gemeint? Die Bezeichnung „Eco-Social“ konkretisiert das.
social design lab:
Wurde außer dem Namen auch die Studienprogrammatik angepasst?
Kris Krois:
Nicht auf Grund der Kritik des Ministeriums. Das Motto „think global – act local“ passt immer noch, auch wenn wir dazu übergegangen sind den Begriff “trans-local” zu verwenden, was auf die Verbindung und Bewegungen zwischen verschiedenen Orten hinweist, ohne notwendiger Weise global zu sein. Der Fokus auf lokal situierte Arbeitsweisen passt zum Standort Bozen. Südtirol ist klein strukturiert. In kleinen Strukturen ist es einfacher, sich Richtung Nachhaltigkeit und Resilienz zu bewegen, als in großen. Studierende können bei uns diese Arbeitsweisen lernen, um sie später woanders anzuwenden und weiter zu entwickeln – angepasst an die jeweiligen Gegebenheiten.
social design lab:
In dem Master dreht sich dann auch alles um das eigene, lokale Projekt.
Kris Krois:
Genau genommen nicht nur um ein Projekt, sondern jeweils eines in den ersten beiden Semestern und ein größeres im zweiten Jahr. Letzteres ist Teil der Abschlussarbeit und ist vollkommen frei von den jeweiligen Studierenden gestaltet. Die Projekte im ersten Jahr hingegen sind inspiriert von unserem Jahresthema, das immer sehr offen ist – bisher „Essen“ und „Commoning“. Große Themen also, aus denen jede/r etwas machen kann, und die alle Lehrenden aus ihrer Perspektive bearbeiten können. Im ersten Semester geben wir inzwischen etwas mehr vor, weil es sich als zu schwierig erwiesen hat, in Teams von unterschiedlichsten Studierenden, die gerade erst frisch angekommen sind, vollkommen frei Projekte zu entwickeln. Folglich stellen wir im ersten Projekt für alle Studierenden ein oder maximal zwei externe Partner zu Verfügung, mit denen wir bereits im Vorfeld den Kontext und die Zielrichtung geklärt haben. In diesem Rahmen entwickeln dann studentische Teams ihre eigenen Projekte. Während das zweite Semester mit dem sogenannten Partner Forum beginnt, in dem sich Studierende und verschiedene Partner kennen lernen, um dort an gemeinsame Projekte zu entwickeln. Und wer mit keinem der Partner arbeiten möchte, kann selbst einen Partner “mitbringen”. Die einzige Vorgabe ist es, mit diesem in einem realen Feld außerhalb der Uni zu arbeiten.
social design lab:
Können Sie ein konkretes Projekt der Studierenden nennen, in welchem Sie die Prinzipien des Studiengangs gut umgesetzt finden?
Kris Krois:
Klar! Da haben wir total verschiedene.
Ein Partner im vergangenen Semester war zum Beispiel Vispa Teresa, eine Institution der Sozialen Arbeit im Bozener Süden. Die Leute von Vispa Teresa haben sich mit dem Interesse an uns gewendet, mit anderen Mitteln zu experimentieren als mit den konventionellen der Sozialarbeit. Lea Luzzi und Pedro Faim haben dann ein Semester lang in, mit und für eine spezifische Nachbarschaft gearbeitet, die an den typischen Problemen von reinen Wohnstätten mit vielen Sozialwohnungen und wenig nachbarschaftlichen Infrastrukturen leidet. Die beiden Studierenden haben schlussendlich eine temporäre Bushaltestelle entworfen und gebaut. Diese fehlte dort tatsächlich. Die Studierenden haben aber weit mehr gestaltet als ein Bushäuschen. Ihre “Non-Stop” ist mit einer Schaukel ausgestattet, mit einem Bücher- und Spielzeug-Tauschregal und einem Schwarzen Brett. Ein bis zwei Mal pro Woche werden dort Konzerte, Lesungen, Spiele, Feste und vieles mehr stattfinden. Nicht nur eine Bushaltestelle hat gefehlt, sondern ein Ort für nachbarschaftliches Leben. Ziel ist es, dass sich aus dem temporären Experiment etwas Dauerhaftes entwickelt – zusammen mit den BewohnerInnen, Vista Teresa und der Stadt Bozen. Ein solches schrittweises Experimentieren, Aktivieren und Entwickeln zusammen mit den Betroffenen ist typisch für viele Projekte im Eco-Social Design.
Ein anderes Element das immer wieder in Projekte eine Rolle spielt ist “Circular Economy“. Wir hatten beispielsweise ein Projekt mit der Bürgergenossenschaft Obervinschgau, wo Terra Preta, eine Alternative zum Kunstdünger, als lokaler materieller und wirtschaftlicher Kreislauf etabliert werden soll. Die Studierenden Lisa Zellner und Henrik de Goffau haben nicht in Top-Down-Manier ein System konzipiert, sondern ein solches zusammen mit einem Netzwerk von Bauern, Wissenschaftlern und anderen Akteuren skizziert. Zusätzlich haben sie eine visuelle Identität, Verpackungen und eine Ausstellung zum Thema gestaltet, die sinnlich-poetische Qualitäten hat. Die ästhetische und emotionale Dimension halte ich für enorm wichtig – gerade wenn es um komplexe und problembeladene Themen geht. Angefangen haben die beiden aber mit ethnografischen Studien, unterstützt von Elisabeth Tauber, die bei uns “Cultural Anthropology” lehrt. Eine derartige Verquickung von Designpraktiken und Sozialwissenschaften findet in den meisten Projekten statt.
Es gibt aber auch ganz andere Projekte zum Beispiel mit Partnern aus Forschungsinstitutionen oder Unternehmen, die ökosoziale Interessen verfolgen und an einer ergebnisoffenen Zusammenarbeit interessiert sind. Die klassische Auftragsarbeit, in der Designer üblicherweise arbeiten, wollen wir bewusst nicht. Wir haben also nie das Unternehmen X, das das Produkt Y am Markt sichtbar machen und verkaufen will. Ökosoziale DesignerInnen sind als Entwickler viel grundlegender involviert und übernehmen damit auch Mitverantwortung für das gesamte Projekt, nicht nur für die formale und funktionale Gestaltung.
social design lab:
Nach den Erfahrungen aus den letzten Jahren: Wie kann Design gut gemacht, gelehrt und gelernt werden?
Kris Krois:
Bestimmt auf viele Arten. Bei uns steht im Mittelpunkt die Entwicklung der eigenen Praxis der Studierenden. Im Prinzip funktioniert das wie bei Montessori: Wir bieten ein anregendes, sehr gut ausgestattetes Umfeld und viel Input und Reflexion von verschiedenen Richtungen. Was die Studierenden dann daraus machen, liegt bei ihnen. Wir Lehrende sind nicht nur Input-GeberInnen, sondern engagieren uns als kritische und konstruktive BegleiterInnen. Ich denke, das ist sehr zeitgemäß, nicht nur in ökosozialen Studiengängen. Es gibt immer weniger festdefinierte Berufe, die einmal erlernt und ein ganzes Berufsleben lang ausgeübt werden. Gefragt ist die Fähigkeit schnell zu lernen, eigenständig und kreativ zu arbeiten, und Verantwortung zu übernehmen. Diese Metakompetenzen bilden wir sehr gut aus, indem wir einen Übungsraum bieten, in dem erprobt und experimentiert werden kann. Solche Räume des Experimentierens, wo auch das Nicht-Gelingen Teil des Spiels ist, brauchen wir mehr. Das gesamte Schulsystem sollte darauf hin ausgerichtet sein, sodass junge Menschen lernen, Verantwortung zu übernehmen, für das eigene Leben und Arbeiten – in einem umfassenden Sinn. Das halte ich für essentiell, damit die wirklichen Herausforderungen der Zeit angegangen werden können, anstatt nur vorgegebene Aufgaben abzuarbeiten. Niemals mehr soll jemand sagen können “ich war doch nur Befehlsempfänger”. Natürlich gibt es bei uns heute kaum explizite Befehle, aber einen subtilen, jedoch wirkmächtigen Konformitätsdruck, und vor allem Angst und Unsicherheiten. Doch zumindest all die Mittelstandskinder, -Eltern und Großeltern in unserer Gesellschaft sind extrem privilegiert und frei. Dieses positive Potential gilt es zu entfesseln, für eine ökosoziale Transformation, die nicht nur nachhaltiger, sondern auch glücklicher macht.
social design lab:
Wo landen Ihre AbsolventInnen nach dem Studium, wenn nicht in den etablierten Berufsfeldern?
Kris Krois:
Das ist momentan interessant zu sehen, denn nach drei Jahren haben wir jetzt die ersten AbgängerInnen. Zum Beispiel Lena Rieger, die als erste ihren Abschluss gemacht hatte, arbeitet inzwischen bei einer Agentur, die auf Campaigning für NGOs spezialisiert ist. Campaigning ist ein Feld, das bei uns so zwar nicht gelehrt wird. Das selbstständige Erarbeiten von Projekten, das Organisieren von Teams, das moderieren des Dialoges mit Stakeholdern, die Kreation und Darstellung von Erzählungen – all dies sind Kompetenzen, die bei unseren Studierenden gestärkt werden. Für Lena ist das in ihrer Arbeit nützlich, aber tatsächlich in einem spezifischen Feld, welches es bei uns so nicht gibt. Das ist sehr erfreulich!
social design lab:
Jetzt haben wir von Ihren AbsolventInnen gesprochen, von welchem Schlag sind denn die neu ankommenden Studierenden?
Kris Krois:
Vielfältig sind deren Hintergründe. Die meisten haben irgendeine Art von Design studiert und wollen sich noch einmal neu orientieren, aber nicht alle. Wir nehmen auch Studierende aus anderen Studiengängen. Momentan haben wir oder nehmen wir gerade StudentInnen auf, die verschiedenes studiert haben wie: Nachhaltigkeitswissenschaften, Urban Planning, Kulturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Forstwirtschaft. Wichtig ist uns, dass die angehenden Studierenden in der Lage sind, Projekte mitzugestalten und umzusetzen. Deshalb verlangen wir von den BewerberInnen ein Portfolio von Projekten – nicht unbedingt aus dem Bereich Design – und 10 Kreditpunkte in designaffinen Disziplinen. Wer diese nicht hat, kann sie im Vorfeld der Bewerbung bei uns machen.
social design lab:
In dem Fall würden Sie sagen, dass Sie die Zielgruppe erreichen, die Sie erreichen wollen?
Kris Krois:
Jein.
Wir erreichen Leute, die wir erreichen wollen, und das ist super. Wir haben aber zu wenig männliche Bewerber und zu wenige, die nicht aus dem deutschsprachigen Raum oder aus Italien kommen. Das liegt an den hohen Sprachanforderungen der dreisprachigen Universität. Voraussichtlich werden wir aber den Studiengang in einem Jahr komplett auf Englisch umstellen. Interessant wären auch Bewerber, die ein starkes Interesse an User Experience, Interaction und Interface Design haben, und an den damit verbundenen Technologien und Medien. Deren Potentiale werden bei uns momentan noch nicht voll ausgeschöpft, obwohl wir sehr kompetente Lehrende in diesen Bereichen haben. Interessanterweise haben unsere Studierenden häufig mehr Interesse mit analogen Mitteln zu arbeiten. Natürlich erstellen sie für ihre Projekte Websites und nutzen “Soziale Medien“. Sie erweitern aber selten die Möglichkeiten des Mediums selbst.
social design lab:
Analog – ist das der Puls der Zeit?
Kris Krois:
Durchaus sehe ich bei den Studierenden eine Sehnsucht nach Dingen, die man wortwörtlich begreifen kann. Zusätzlich nehme ich an, dass die Vorsilbe „ökosozial“ nicht gerade Technik-Nerds anzieht. Ich fände es bereichernd, wenn wir einige kreative Ingenieure und visionäre Medienstrategen dabeihätten.
social design lab:
Würden Sie den Studiengang selbst studieren?
Kris Krois:
Natürlich sofort, das ist ja klar (lacht). Ich habe den Studiengang ja hauptsächlich mal für mich gemacht. Scherz beiseite, der Studiengang ist natürlich eine einzige Fortbildungs- und Weiterbildungsmaßnahme auch für die Lehrenden. Denn Ökosoziales Design ist ein offenes Feld, eine Richtung, und keine Disziplin. Es wird fortlaufend entwickelt, in einem Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden, und in transdisziplinären Projekten. Die Zusammenarbeit unter Lehrenden ist bei uns extrem anregend und nicht immer reibungslos mit sehr verschiedenen Disziplinen und Kulturen.
social design lab:
Wo sehen Sie den Studiengang in fünf Jahren?
Kris Krois:
Ich hoffe, dass wir jedes Jahr dazu lernen auf eine Weise zu arbeiten, die den dringend nötigen ökosozialen Wandel voranbringt, und alle Studierenden dabei unterstützt die effektivste und passenste Rolle in diesem Wandel zu entwickeln. In der damit verbundenen Komplexität die richtige Balance zu finden, zwischen “Overload” und Synergien, analytischem und intuitiven Verstehen, strukturiertem Arbeiten und lockerem Spiel, zwischen Tun und Reflexion – all das und mehr werden wir in 5 Jahren noch besser können, inklusive der Fähigkeit sinnvoll Prioritäten zu setzen. Lehren und Lernen soll offen, dialogisch, transdisziplinär und praxis-orientiert sein. Denn wichtig sind nicht nur andere Inhalte, sondern auch eine andere Lehre.
Nach außen sehe ich uns in 5 Jahren als einen Eckpunkt in der europäischen Landschaft von Designstudiengängen, die ernsthaft zu nachhaltigem sozialen Wandel beitragen und untereinander in einem regen Austausch sind. Außerdem glaube ich (Öko-)soziales Design wird abfärben auf (fast) alle Designstudiengänge und ein normaler Bestandteil der Designbildung werden, so wie Web-Design es geworden ist, was in den 90ern noch eine Besonderheit war, die es nur an wenigen spezialisierten Studiengängen gab.
Wir wollen also rasch diese Richtung entwickeln, sichtbar machen und damit Wirkung entfalten. Denn das hat in Anbetracht der desaströsen Entwicklungen eine gewisse Dringlichkeit. Nicht, dass wir als Designer alleine die Welt retten können, aber wir können lernen, wie wir maßgeblich dazu beitragen – und dabei bei Laune bleiben, denn wie schon Emma Goldwinn sagte: “If I can’t dance, it’s not my revolution!”
Eine gute Gelegenheit, mehr davon zu erfahren, ist unsere jährliche Konferenz „By Design or by Disaster“, die im Jahr 2019 voraussichtlich vom 11. bis zum 14. April stattfinden wird. Wer dazu informiert werden möchte, kann unseren Newsletter oder den Feed unseres Blogs abonnieren, oder die übliche Social Updates verfolgen (facebook, twitter).
// Vielen Dank für das Interview.
Interview: Nadja Hempel, Hans Sauer Stiftung