Interview mit Rike Neuhoff

Foto von Rike Neuhoff

Rike Neuhoff ist Service Designerin und forscht in ihrer Promotion an der Schnittstelle von Service Design und Foresight (Zukunftsforschung) im Kontext von Circular Societies. Dabei untersucht sie, wie partizipative Designansätze mit Futuring-Ansätzen kombiniert werden können, um einen demokratischen Übergang zu Circular Cities zu unterstützen. Rikes Arbeit ist Teil einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen den beiden Forschungsgruppen „Service Systems Design“ und „Urban Design – Transformation & Mobilities“ an der Universität Aalborg.

 

// 04.11.2021

social design lab:   

Mit deinem Promotionsthema streifst du gleich mehrere Themen- und Arbeitsschwerpunkte, die wir auch im social design lab bearbeiten. Wie bist du zu dem Thema gekommen und was möchtest du mit der Promotion in diesem Feld erreichen?   

Rike Neuhoff:   

Mein Interesse an dem Zusammenspiel von Service Design und Foresight hat sich aus zweierlei Beobachtungen bzw. Überlegungen entwickelt.  

Auf der einen Seite, aus der Anfälligkeit des Design für Veränderungen. Im Design gestalten wir ja meist für das Hier und Jetzt, d.h. wir versuchen Lösungen für gegenwärtige Herausforderungen zu finden. Gleichzeitig sind diese Lösungen aber einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Veränderung ausgesetzt, was zur Folge haben kann, dass sie im Verlauf des Wandels unfunktional oder unbrauchbar werden. Die auf der Basis von Foresight entwickelten Zukunftsbilder haben keinen Wahrheitsanspruch (die Zukunft ist und bleibt ja weitestgehend offen und es gibt eine unbegrenzte Anzahl möglicher “Zukünfte” [plural]), doch sie erkunden relevante Trends und antizipieren ihre Implikationen für mögliche Zukünfte. Daraus resultiert eine verbesserte Reaktionsfähigkeit des Design auf mögliche kontextbezogene Veränderung.  

Auf der anderen Seite, und dem Reagieren gegenüber, steht die Notwendigkeit innerhalb partizipativer Prozesse und durch Vorausplanung und zielgerichtetes Handeln die Entwicklung wünschenswerter Zukünfte mitzugestalten und proaktiv herbeizuführen. Hier liegt auch der Fokus meiner Forschung, d.h. herauszufinden welche Foresight Methoden und Praktiken wie in partizipative Designprozesse integriert werden können, sodass Menschen zu einem souveränen Umgang mit Zukünften befähigt werden. Dazu gehört beispielsweise die Fähigkeit sich in Anbetracht offener und ungewisser Zukünfte nicht überfordert oder unwohl zu fühlen, sondern sie als Einladung zu verstehen gemeinsam wünschenswerte Zukünftevorstellungen zu entwickeln und umzusetzen.   

 

social design lab:   

Smart Cities, Transition Towns, Zero Waste Cities – die Liste an Ansätzen für eine Transformation zu nachhaltiger Urbanität ist lang. Was interessiert dich an Circular Cities? Worin siehst du in diesem Themenfeld Potential?  

Rike Neuhoff:   

Städte sind ein sehr wichtiger Hebel für eine nachhaltige Zukunft. Auf europäischer Ebene wird zur Zeit intensiv nach Wegen gesucht Städte, mit Hilfe kreislaufwirtschaftlicher Prinzipien, nachhaltiger zu gestalten. Genauso wie ihr bei der Hans Sauer Stiftung und beim social design lab bin auch ich der Meinung, dass der Prozess von linearen, hin zu inklusiven, lebenswerten und zirkulären Städten nur erfolgreich sein kann, wenn die wichtigsten Akteur*innen des urbanen Systems, die Bürger*innen, mit einbezogen werden. Lineare Strukturen sind tief in unseren Gewohnheiten, Denk- und Handlungsweisen verwurzelt. Meine Forschung untersucht daher im Kern, ob und wie design-driven foresight (so nenne ich den integrierten Design- und Foresightprozess) die Veränderung gesellschaftlicher Wertvorstellungen, Überzeugungen, Denk- und Handlungsweisen innerhalb partizipativer Prozesse vorantreiben und somit die Transformation hin zu zirkulären Städten unterstützen kann.  

  

social design lab:   

Ein Fokus deiner Arbeit liegt auf der Szenarienentwicklung. Worum geht’s dabei genau? Und warum brauchen wir das? Liefern uns die Medien, Kunst und Politik nicht genug Zukunftsvorstellungen?  

Rike Neuhoff:   

Das ist eine spannende Frage. In meiner Forschung sehe ich, dass die meisten Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, eher pessimistisch in die Zukunft blicken. Auffallend ist beispielsweise auch, dass sie sich dystopische Szenarien viel konkreter ausmalen können als utopische. Ähnliches kann man auch im gesellschaftlichen Diskurs beobachten. Junge Menschen stellen sich die Frage, ob es verantwortbar ist Kinder in diese Welt zu setzen. Es gibt Studien die Zusammenhänge zwischen Zukunftsängsten und Populismus aufzeigen. Mein Empfinden ist, je weiter der Blick in die Zukunft schweift, desto größer die Unsicherheit. Medien und Politik spielen dabei eine ganz entscheidende Rolle. Kürzlich noch hat ein Workshopteilnehmer angemerkt, dass ihm kein Film einfiele, der eine positive Zukunft beschreibt, wohingegen er unzählige apokalyptische Filme aufzählen könne.  

Daher ist die gemeinschaftliche Entwicklung positiver Szenarien sehr wichtig. Sie geben Hoffnung und Zuversicht, motivieren und stellen Leitplanken für unser Denken, Handeln und unsere Zusammenarbeit in der Gegenwart dar. Außerdem helfen sie beispielsweise dabei die gemeinsamen Nenner, der am Prozess beteiligten Personen, aufzuzeigen. Wenn beispielsweise Gemeinschaft ein immer wiederkehrendes Element ist, so weiß man, dass es dieses im Gestaltungsprozess zu berücksichtigen gilt.  

 

social design lab:   

Ursprünglich kommst du aus dem Service Design und bist Teil des Service Design Lab der Universität Aalborg, bist also Expertin für die Gestaltung von Dienstleistungen und Prozessen. Was ist dein Verständnis von „gutem“ Service Design? und worin siehst du Parallelen aber auch Unterschiede zu bestehenden Social Design Ansätzen?   

Rike Neuhoff:   

Für mich folgt gutes (Service) Design einem partizipativen Ansatz – d.h. alle relevanten und betroffenen Personengruppen werden mit in den Prozess einbezogen. Dieser Ansatz geht für mich mit einem Perspektivwechsel darüber einher, was der Wert des Designprozesses ist. Traditionell ist ein Designprozess Ergebnis-fokussiert, d.h. er zielt darauf ab, dass am Ende ein neues, oder verbessertes Produkt, eine Dienstleistung, o.ä. steht. In meiner Arbeit ziele ich jedoch auch darauf ab, den Wert des Designprozesses selbst anzuerkennen und zu betonen. Deswegen bringe ich beispielsweise keine “fertigen” Szenarien mit in meine Workshops, sondern lasse die Teilnehmer*innen diese selbst entwickelt. Denn ein großer Teil des Mehrwerts liegt in dem Austausch, der Kommunikation, und Zusammenarbeit zwischen Menschen, Disziplinen und ihren Wünschen, Ängsten, Weltanschauungen, und Ideen. Es ist diese Interaktion, die das Potenzial hat, tatsächlich einen Wandel in den Denk- und Handlungsweisen der Menschen zu bewirken – von linear zu zirkulär, von pessimistisch zu optimistisch.  

 

social design lab:   

Sich für eine Promotion zu entscheiden, ist für viele ein großer Schritt – und in der jungen Disziplin Design immer noch eher eine Seltenheit. Was würdest du deinem „Studentinnen-Ich“ und allen dort draußen, die noch am Anfang ihrer akademischen Laufbahn stehen, aus heutiger Sicht mitgeben wollen?   

Rike Neuhoff:   

Eine spannende Frage! Bisher hat die Designforschung noch keine alte Tradition, das ist richtig. Der Rahmen in dem Design Einfluss nimmt, ist in den vergangenen Jahren jedoch immens gedehnt worden – von der grafischen Gestaltung angefangen, über die Gestaltung von materiellen Artefakten, Interfaces, Geschäftsmodellen, und Dienstleistungen, ist Design heute an Gestaltungs- und Umstrukturierungsprozessen komplexer Systeme auf den Ebenen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beteiligt. Ich empfinde eine Verzögerung seitens der Hochschulprogramme auf diesen Paradigmenwechsel mit einer angepassten Designausbildung und Forschungsinfrastruktur zu reagieren. Insbesondere wünsche ich mir, dass in diesem Zusammenhang beispielsweise das Thema Verantwortung stärker thematisiert wird. Deswegen würde ich gerne alle Design Studierenden dazu ermutigen, den Diskurs untereinander und mit euren Lehrer*innen zu suchen, kritische Fragen zu stellen, zu hinterfragen und Gesprächen über soziale und ökologische Gerechtigkeit, Geschlecht, Kultur, und Macht mehr Tiefe zu verleihen. Außerdem möchte ich das Offensichtliche betonen: Es sind wahnsinnig spannende Zeiten, um zu forschen! Es passiert so viel um uns herum. Es gibt unzählige Herausforderungen und Chancen, offene Fragen über die Wertschöpfung und Wirkung von Design, und einen großen Bedarf an neuen Prinzipien, Methoden und Ansätzen, die es zu erkunden und erproben gilt. Wir brauchen eindeutig Verstärkung an der Forschungsfront! 🙂  

 

// Vielen Dank für das Interview.  

Interview: Nadja Hempel