Pierre Smolarski ist seit 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Masterstudiengang Public Interest Design an der Bergischen Universität Wuppertal. Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem in der Designtheorie, klassischen und visuellen Rhetoriktheorie, Alltagsästhetik und urbanen (Sub)Kultur.
Im Interview spricht er u.a. über die Programmatik des Studiengangs, umgesetzte Projekte und Herausforderungen für die Studierenden. Das (Social) Design betrachtet Smolarski stets mit kritischen Augen.
// 11.02.2019
social design lab:
Herr Smolarski, Sie lehren bereits seit dem zweiten Semester im Studiengang Public Interest Design und haben Einblicke in die Gründung des Masters bekommen. Was hat ihre Kolleginnen und Kollegen zur Initiierung des Studiengangs motiviert?
Pierre Smolarski:
Die Väter des Studiengangs sind vor allem zwei: Johannes Busmann, Professor für Mediendesign und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Christoph Rodatz, Juniorprofessor für Medienästhetik. Zusammen haben die beiden den Studiengang entworfen und entwickelt. Die Beweggründe waren ganz unterschiedliche. Nicht zuletzt, da Johannes Busmann als Herausgeber der Zeitschrift Polis langjährige Erfahrung im Bereich Stadtentwicklung mitbringt, spielen die Themen Stadt und Partizipation eine entscheidende Rolle. Das sind Schlagwörter, die im Kontext Social Design häufig fallen und entweder gar nicht oder sehr unterschiedlich gefüllt werden. In dem M.A. Public Interest Design geht es dabei vor allem um Fragen der Teilhabe als Bürger*in einer Stadt. Es ist kein linker Studiengang, aber durchaus ein politischer.
social design lab:
Was waren ihre persönlichen Beweggründe im M.A. Public Interest Design zu unterrichten?
Pierre Smolarski:
Meine Aufmerksamkeit wurde zunächst dadurch geweckt, dass in der Stellenausschreibung das Wort Designrhetorik überhaupt vorkam – das ist nicht sehr üblich. Da ich gerade meine Promotion in diesem Bereich abgeschlossen hatte, war die Ausschreibung wie für mich gemacht. Außerdem fand ich die Programmatik sehr spannend. In den meisten Design-Studiengängen kommen Inhalte allenfalls auf individueller Ebene, durch die Studierenden oder die Lehrenden in das Studienprogramm. Im Gegensatz dazu, gibt es beim M.A. Public Interest Design eine Programmatik, ein Ziel, worauf das Design hinauslaufen sollte oder könnte. Das hat mich sehr gereizt. Ebenso, dass sich der Studiengang als einen politischen Studiengang versteht. Mit Politik meine ich im Regelfall nicht Parteienpolitik, sondern Regelung des menschlichen Zusammenlebens.
social design lab:
Sie selbst lehren Designrhetorik und Alltagsästhetik.
Pierre Smolarski:
Genau. Beides sind Fächer, die eher experimentell angelegt sind. Die Designrhetorik versucht in erster Linie rhetorische Kompetenzen für ein öffentliches Auftreten zu vermitteln. Im Spezielleren fragt sie aber auch nach den rhetorischen Fähigkeiten, die dem Design selbst zugrunde liegen. Inwiefern kann Design überzeugen, beeinflussen und manipulieren? Es ist entscheidend, diese Fähigkeiten zu erkennen und sie für die Gestaltung zu nutzen.
Die Alltagsästhetik meint eine Zuwendung zum Alltäglichen. Das halte ich deshalb für wesentlich, weil es die Voraussetzung für eine partizipative Gestaltung ist. Wenn der Blick für den Alltag und die Probleme des Alltäglichen fehlen, bleibt Partizipation eine Floskel, mit der man letztlich doch nur eine bestimmte Schicht erreicht.
Dieses Semester haben wir uns in dem Rahmen z. B. mit dem Thema Arbeit auseinandergesetzt. Es ging darum zu untersuchen, wie über Arbeit gesprochen wird, welche Bilder dabei produziert werden und welche ideologischen Meinungen und Ansichten dadurch entstehen. So hat sich z.B. eine Studierende mit Freiwilligenarbeit im globalen Süden befasst und diesbezügliche Bilder analysiert. Die dort produzierten Bilder sprachen überwiegend für Urlaub und Selbstverwirklichung als Motivation für diese Art des Ehrenamts. Erst an dritter Stelle kam der Wunsch, Menschen zu helfen.
Solche Detailanalysen machen den Studiengang zu einem sehr theoretischen Programm.
social design lab:
Ist es der Fokus auf die Theorie, der den Master von anderen Design-Studiengängen unterscheidet?
Pierre Smolarski:
Das ganze Designfeld ist gerade in unglaublicher Bewegung. Das kann einen teilweise erfreuen, teilweise aber auch erschrecken. Das was unter einem so großen Label wie Social Design firmiert, sind sehr unterschiedliche Geschichten. Zum Teil ist das reines Labeling von Designern und Designerinnen, die keine Lust mehr auf Werbung für Katzenfutter haben, sondern jetzt auch mal die Welt verändern wollen. So heißen dann auch die Bücher: Welt verändern oder Welt verbessern etc. – Ich halte das für überzogen.
Wie die Studiengänge aufgebaut sind, die in diese Richtung gehen, kann ich nicht beurteilen.
Im Vergleich zu einem klassischen Kommunikationsdesign-Master gibt es aber wesentliche Unterschiede, die, wie Sie bereits sagten, vor allem darin liegen, dass wir Inhalte diskutieren. Das machen wir den Studierenden bereits im Vorstellungsgespräch deutlich. Anders als in klassischen Design-Studiengängen, müssen die Studierenden bei uns viel lesen und schreiben. Demnach erwarten wir auch entsprechende Fähigkeiten. Die Studierenden bekommen bei uns Einführungen in Soziologie und Digitalisierung und beschäftigen sich u.a. mit den genannten Bereichen Designrhetorik und Alltagsästhetik.
social design lab:
Sie halten es für überzogen, wenn Designer und Designerinnen meinen, die Welt retten zu wollen und zu können. Warum erachten Sie das Design dennoch für fähig, Ansätze wie Demokratie, Integration und Partizipation zu konstituieren?
Pierre Smolarski:
Da habe ich vielleicht eine andere Meinung als Johannes Busmann oder Christoph Rodatz. Ich sehe das Design mit kritischen Augen. Gerade, wenn ich diese euphemistischen, von Übermut getragenen Überschriften lese. Ich halte das für Selbstüberschätzung, und sehe das Design in keinem Falle als eine führende oder leitende Wissenschaft – eine Wissenschaft ist es sowieso nicht. Vielmehr sehe ich das Design in einer dienenden Rolle.
Die Auseinandersetzung mit Inhalten ist für Designer*innen relativ neu, weshalb sie auch noch sehr unerfahren sind. Die Methoden, die dazu kursieren und aktuell an Designhochschulen entwickelt werden – denken wir dabei z. B. an Design Thinking – sind absolut unterkomplex und nicht in der Lage undurchsichtige Zusammenhänge zu erfassen. Das Design kann in Bezug auf seine gestalterische Kompetenz eine wichtige Rolle spielen, aber nicht unbedingt bei der Strategieentwicklung. Deshalb ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig.
Die Stärke, die unsere Studierenden entwickeln können, entwickeln sie letztlich als Personen, die für etwas stehen und kämpfen. Dazu kommt eine Professionalität im Design. Design ist zunächst aber nur die Verpackung – und nicht der Inhalt.
social design lab:
Worin unterscheidet sich das Public Interest Design vom Social Design?
Pierre Smolarski:
Social Design tendiert vom Namen her dazu, eine Meinung zu vertreten, als gäbe es nur eine Gesellschaft, nur das eine Soziale. Gesellschaftliche Veränderung und Transformation, wie es in Social Design steckt, ist dabei zunächst einmal ein Werbebegriff, der bestimmte Dinge attraktiv machen soll. Wenn man sich dann die konkreten Projekte anschaut, wirken sie unter dieser großen Glocke „wir verändern die Welt“ oft ein bisschen erbärmlich und klein. Dazu kommt viel, was de facto einfach nicht funktioniert. So werden teilweise ohne Kenntnisse des Kulturkreises Produkte entworfen – z. B. Mini-Housing-Produkte – die zwar Designpreise gewinnen, aber in denen Niemand wohnen kann.
Anstatt von der einen Gesellschaft auszugehen, sehen wir uns mit einer Pluralität legitimer und widerstreitender sozialer, wirtschaftlicher und politischer Interessen konfrontiert. Man muss sich als Designer*in bewusst sein, dass man in so einem Feld früher oder später Partei für eine Sache und gegen eine andere ergreifen muss. Die Projekte, die bei uns angestoßen werden, sprechen über konkrete Interessen. Dieser Begriff des Interesses, bildet den entscheidenden Unterschied zum Social Design.
Ich will damit nicht sagen, dass das Public Interest Design besser ist als das Social Design. Aber vom Namen her ist das der Unterschied: Bei uns geht es um öffentliche Interessen. Konsequenterweise müsste der Studiengang sogar im Plural formuliert werden (Public Interests Design).
social design lab:
Der Studiengang versteht sich als Projektstudium. Welche Projekte, die öffentliche Interessen angehen, haben Sie in der Vergangenheit fasziniert?
Pierre Smolarski:
Kurz zum Aufbau des Studiums: All unsere Seminare sind auf Theorie ausgelegt, die restliche Zeit verbringen die Studierenden in Projekten. Im ersten Semester machen sie ein Gemeinschaftsprojekt, um anzukommen und Wuppertaler Akteure kennenzulernen. Ab dem zweiten Semester suchen sich die Studierenden dann selbst Projekte, die nach einem Semester enden oder bis zur Masterarbeit weiterentwickelt werden. Die dabei entstehende Vielfalt an Reichweite und Inhalten ist faszinierend. Die meisten Projekte, die ich betreut habe, sind eher klein dimensioniert und auf ein konkretes Problem bezogen.
Bei einem dieser Projekte ging es z. B. um ein konkretes Müllproblem in einem Park, der deswegen schon häufiger geschlossen werden sollte. Die Studentin schaltete sich hier ein und versuchte mit Mitteln des Designs stärker auf die Problematik aufmerksam zu machen. Zunächst sprach sie mit den verschiedenen Interessensgruppen wie der Stadtreinigung darüber, woher der Müll kommt (Supermärkten, Imbissbuden o.ä.) und warum er nicht richtig entsorgt wird. Zwar hat sie die Müllproblematik damit nicht gelöst, jedoch Aufmerksamkeit für das Problem geschaffen.
Ein aktuelles, filmisches Projekt, beschäftigt sich mit der Vermeidung von Wildunfällen. Die Studentinnen waren in erster Linie daran interessiert, das Wild zu schützen und rechneten mit einer Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden. Letztlich war der Hauptinteressensvertreter aber der Jagdverband, welcher in dieser Angelegenheit zuständig ist. Anfangs hat es die Studentinnen Überwindung gekostet mit dem Jagdverband zu kooperieren, zum Schluss wurde er aber zum Geldgeber für das Filmprojekt. In Zukunft soll der Film an Fahrschulen zu Unterrichtszwecken dienen.
Gemeinsam mit dem Pina Bausch Zentrum planen wir aktuell ein großes Wohnprojekt. Zusammen wollen wir in ihrem neuen Gebäude eine Wuppertaler-WG aufbauen und dabei verschiedene Stadtteile verbinden. Das Projekt bietet viel Potential für Masterarbeiten.
social design lab:
Wie steht es denn um die Masterprojekte?
Pierre Smolarski:
Zwar gibt es nun den ersten Jahrgang, der eigentlich hätte abgeschlossen haben müssen, de facto haben aber erst zwei Studierende ihr Masterprojekt beendet. Die meisten befinden sich noch mitten im Prozess.
Zwei unserer Studierenden haben sich beispielweise mit Studierenden anderer Studiengänge zusammengeschlossen, um eine genossenschaftliche Kneipe (TRINK-GENOSSE) zu gründen. Über Crowdfunding haben sie knapp 56.000 € gesammelt und sind dabei das Projekt in die Tat umzusetzen.
Es geht aber auch digital: Eine Studentin ist gerade dabei, eine Art Kontaktplattform zu entwickeln, auf der sich Designer*innen und Informatiker*innen für gemeinnützige Projekte finden können. Beide bringen unterschiedliche Kompetenzen mit, können jedoch selten darauf zurückgreifen. Da die Idee gut ankam, wurde sie zu den Chaos Communication Congress in Leipzig eingeladen, um ihr Projekt vorzustellen.
social design lab:
In vielen Projekten arbeiten die Studierenden eng mit Städten, Organisationen und Forschungsinstituten zusammen.
Pierre Smolarski:
Da die Projekte nie in einer Hochschulblase, sondern immer im öffentlichen Raum entwickelt und durchgeführt werden, ist die Auseinandersetzung mit anderen Interessensvertretern (wie z.B. dem Wuppertalinstitut) zentral. Das ist natürlich nicht immer leicht. Gerade auch deshalb, weil diese das Design teilweise noch auf das bloße Gestalten von Plakaten etc. reduzieren. Das ist uns aber zu wenig. Wenn ich vom Design in einer dienenden Funktion spreche, dann meine ich damit nicht eine Reduzierung auf Fragen der Formalästhetik.
social design lab:
Mit welchen Herausforderungen werden Ihre Studierenden noch konfrontiert?
Pierre Smolarski:
Mit radikaler Überforderung. Die Felder, in denen sich die Studierenden in ihren Projekten bewegen, und scheinen sie noch so klein wie die Müllproblematik in einem Park, entpuppen sich relativ schnell als größer und komplexer, wie gedacht. Mit den aufkommenden Problematiken umzugehen, ist durchaus anspruchsvoll.
Eine Überforderung, die eher etwas mit dem Studium zu tun hat, ist dessen Theorielastigkeit. Das sind viele Designer*innen schlichtweg nicht gewohnt. Selbiges gilt für unsere Feedbackkultur. Die Studierenden können fast nie einschätzen, welche Aspekte bei ihrem Projekt kritisiert werden. In der Regel kommt die Kritik nämlich nicht aus der Designperspektive, sondern aus Haltungs- und Wertefragen.
social design lab:
Ihre Studierenden kamen bisher aus dem Design-Bereich, sollten aber eine gewisse Affinität zu Fragen des Politischen und des Sozialen mitbringen. In der jetzigen Ausschreibung öffnen Sie den Master auch für Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften, mit einer gewissen Designaffinität. Haben Sie in der Vergangenheit nicht die Studierenden erreicht, die Sie erreichen wollten?
Pierre Smolarski:
Das ist kritisch und scharf gesehen. Nein und ja. Zunächst einmal wünschen wir uns allgemein mehr Bewerber*innen. In Anbetracht unseres erweiterten Designbegriffs wünschen wir uns tatsächlich aber auch mehr Diversität, durch die sich die Studierenden gegenseitig helfen und befruchten können. Für viele meiner Kollegen und Kolleginnen ist das Design sehr wichtig – ich könnte im Zweifel auch darauf verzichten.
Unsere derzeitigen Studierenden waren und sind aber alle theorieaffin genug und wirklich unglaublich motiviert, worauf ich sehr stolz bin. Die Tagung „Was ist Public Interest Design?“ beispielsweise wird in großen Teilen von den Studierenden selbst organisiert und moderiert.
social design lab:
In welchen Berufsfeldern sehen Sie Ihre Studierenden?
Pierre Smolarski:
Zunächst einmal muss man sehen, dass alle Studierenden bereits einen abgeschlossenen Bachelor im Design mitbringen. Viele unserer Studierenden kommen aus dem Kommunikationsdesign, der Architektur, dem Industrial Design, dem Film oder dem Produktdesign. Auf diese Basis können sie sich im Zweifel berufen. Die Hoffnung ist allerdings durchaus, dass Stellen für Social / Public Interest / Civic Designer*innen bei der Stadt, aber auch bei Unternehmen zunehmen werden. Wie in Wuppertal, gibt es auch zunehmend in anderen Städten Partizipationsbüros. Dieses Feld entwickelt sich derzeit rapide. Einer unserer Studenten ist bereits in Mönchengladbach in diesem Bereich bei der Stadt angestellt. Solche Stellen werden sich zwar nie in Massen bieten, unsere Absolventen*innenzahl hält sich, mit zehn Studierenden pro Jahrgang, aber auch in Grenzen.
social design lab:
Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahrgänge?
Pierre Smolarski:
Wenn die nächsten Studierenden wieder so drauf sind wie die der letzten beiden Jahrgänge, dann wäre das schon super. Beide Jahrgänge zeichnen sich durch unglaubliches Feuer, Wille und Tatendrang aus. Das beflügelt sie nicht nur untereinander, sondern auch uns Lehrende. Das wünsche ich mir auf jeden Fall auch für die Zukunft.
social design lab:
Eine letzte Frage: Wo sehen Sie den Studiengang in fünf Jahren?
Pierre Smolarski:
Ich hoffe immer noch an der Universität und immer noch existent. Da mir das Lokale sehr wichtig erscheint, hoffe ich, dass der Studiengang im Raum Wuppertal zu einer festen Größe wird. Ich glaube, wir sind da bereits auf einem sehr guten Weg. Viele kennen uns, sprechen über uns und kontaktieren uns.
Außerdem genießen wir an der Bergischen Universität Wuppertal eine Besonderheit: Unser Studiengang ist einer von sehr wenigen, der an einer Universität und nicht an einer Fachhochschule unterrichtet wird. Damit haben unsere Studierenden Promotionsrecht. Ich würde mir wünschen, dass auch im Bereich Public Interest Design eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen werden kann, die nicht nur im Designbereich, sondern auch in der Soziologie, der Politik- oder einer anderen Geistes- oder Kulturwissenschaft Anerkennung erlangt.
// Vielen Dank für das Interview.
Interview: Nadja Hempel, Hans Sauer Stiftung