Circular Society – Wer, wie, was?

Wir haben für den Blog des Netzwerks Ressourcenwende die Arbeit der Hans Sauer Stiftung im Themenschwerpunkt Circular Society in Theorie und Praxis zusammengefasst. Das Netzwerk ist ein Zusammenschluss von Akteur*innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft im deutschsprachigem Raum, das sich für eine global und generationsübergreifend gerechte Ressourcennutzung im Rahmen der ökologischen Belastungsgrenzen einsetzt. Dabei wollen sie einen Ort des systematischen, offenen und transdisziplinären Austausches schaffen, gemeinsam wichtige Querschnitts- und Grundsatzthemen bearbeiten und daraus sachlich fundierte Forderungen ableiten.

Der Artikel: Wege zu einer Circular Society

Eine Position der Hans Sauer Stiftung

Die Hans Sauer Stiftung hat sich in den vergangenen Jahren viel mit Social Design beschäftigt und damit, welches gesellschaftliche Transformationspotential in der Anwendung von Gestaltungsmethoden steckt. Die Gestaltung einer nachhaltigen und sozialen Zukunft ist Kern der Arbeit der gemeinnützigen, hauptsächlich operativ arbeitenden Stiftung mit Sitz in München.
Einer der Themenschwerpunkte ist die Auseinandersetzung mit der Circular Economy (CE) – oder viel mehr mit der Circular Society. Die Stiftung hat zu ihrer Idee einer Circular Society ein Positionspapier (Wege zu einer Circular Society) veröffentlicht, aber auch operative Projektarbeit geleistet und ist gegenwärtig dabei, die Entstehung eines Circular Society-Netzwerks mit voranzutreiben. Diese Idee einer Circular Society soll im folgenden Artikel erläutert und in einen operativen Kontext gesetzt werden.

Die Circular Economy – eine unzureichende Nachhaltigkeitsstrategie?

Die Nutzung von Ressourcen und Dingen folgt im gegenwärtigen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell weitgehend einem linearen Muster, dem des „take, make, waste“. Das heißt, Ressourcen wie natürliche Rohstoffe oder auch verarbeitete Produkte werden zu einem überwiegenden Teil deponiert oder thermisch verwertet und nicht etwa konsequent wieder- und weiterverwendet. Die Folgen dieses Wirtschaftens auf Umwelt und Mensch zeigen, dass ein Umdenken an dieser Stelle alternativlos ist. Damit stellen sich Fragen nach Wegen und Formen für eine notwendige Transformation und nach den Potenzialen, aber auch Verkürzungen von Circular Economy-Ansätzen. Deren Potenziale werden auch auf dieser Plattform vielfach diskutiert, doch lohnt ein Blick auf einige der zentralen Verkürzungen und oft geäußerten Kritikpunkte im CE-Diskurs:

  • Das Verständnis der CE als besseres Abfallmanagement (s. KWG 1996) im Sinne einer Recyclingwirtschaft ist noch immer weit verbreitet. Dabei kommen Design-Lösungen zu Beginn der Wertschöpfungskette oft zu kurz. Abfall wird lediglich reduziert statt vermieden.
  • Reboundeffekte, bei denen Einsparungen z. B. zu erhöhter Nachfrage führen, werden unzureichend adressiert.
  • Welches Wirtschaftsmodell mit welchen Zielen hinter einer CE stehen sollte, ist nicht klar definiert. Dennoch wird häufig das Ziel betont, grünes Wachstum durch die Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Inwiefern das überhaupt möglich und wünschenswert ist, ist höchst umstritten. Dabei lässt sich die CE als affirmatives Modernisierungsanliegen charakterisieren.
  • Der Fokus auf wirtschaftliche Wertschöpfung und technische Innovation verkennt den dahinterstehenden, notwendigen, massiven sozio-kulturellen Wandel. Die gesellschaftliche Dimension inkl. einer gesellschaftlichen Zielsetzung bzw. Vision fehlt. Weitere soziale Aspekte wie globale Gerechtigkeit, Lebensqualität und Teilhabe an der Transformation werden allenfalls am Rande thematisiert.

Die Hans Sauer Stiftung stellt dementsprechend die These auf, dass der Wandel hin zu mehr Zirkularität besser im gesellschaftlich erweiterten Ansatz einer Circular Society gedacht und angegangen werden sollte. Über technische und produktorientierte Ansätze hinaus, geht es auch um ein „Re-Design von sozialen Praktiken, gesellschaftlichen Strukturen und kulturellen Mustern”. Die Stiftung ist damit nicht allein – die Idee einer Circular Society wurde von einer Vielzahl von Akteur*innen angedacht und auch verschriftlicht (vgl. Melanie Jäger-Erben und Florian Hofmann: Kreislaufwirtschaft – Ein Ausweg aus der sozial-ökologischen Krise?)

Weil Wirtschaft nicht ohne (Zivil-)Gesellschaft funktioniert – Die Idee einer Circular Society

Inwiefern aber geht der Ansatz der Circular Society über den der Circular Economy hinaus?
Der kritische Diskurs zur Circular Economy hat, wie zuvor dargestellt, in den zurückliegenden Jahren immer öfter deren Charakter als affirmatives ökologisches Modernisierungsprojekt thematisiert, das wesentliche Komponenten sozial-ökologischen Wandels vermissen lässt und letztlich in einer langen Tradition kapitalistischer und wachstumsorientierter Modelle und Narrative steht.
Der Begriff der Circular Society, den unterschiedliche Akteur*innen aus Forschung und Praxis eingeführt haben, versucht dagegen Herangehensweisen anzuregen, die über technologische und marktorientierte Ansätze hinausgehen und versteht sich als Rahmenkonzept einer grundlegenden, am Konzept der Zirkularität orientierten sozial-ökologischen Transformation.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt umfasst der Begriff sehr unterschiedliche Bedeutungen, allein was dessen Veränderungs- und Transformationsanspruch angeht. In seiner affirmativen Form weist der Begriff auf die fehlenden gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aspekte des Circular Economy-Diskurses hin und betont, dass der Übergang zu einer CE eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist. Andere Ansätze erweitern den Diskurs um Aspekte wie Besitz, Reichtum, Wissen, Technologie, Macht u.a., um gegenwärtig bestehende Ungleichheiten zu beheben. Skeptischere Ansätze stellen Verbindungen zwischen den sozio-ökonomischen Wandelvorstellungen der Circular Economy-Strategien und kritischen Narrativen und Diskursen zu vorherrschenden Wachstums- und Fortschrittsparadigmen her.
Und in einer weiteren Variante – der sich die Hans Sauer Stiftung am stärksten verpflichtet fühlt – geht es um die Circular Society als gesellschaftspolitische Suchbewegung, die auf die Schaffung partizipativer, solidarischer und zirkulärer Produktions- und Konsumstrukturen abzielt. Damit verbunden ist eine skeptische Haltung zur Vereinbarkeit zirkulärer Prinzipien mit den vorherrschenden kapitalistischen Paradigmen und Fortschrittsvorstellungen im Sinne eines transformativen Verständnisses von Circular Society.

(c) Hans Sauer Stiftung

Konkret bedeutet das unter anderem, dass Zirkularität zu einem Leit-, Strukturierungs- und Handlungsprinzip in zahlreichen Gesellschaftsbereichen werden muss und dabei immer das gesellschaftliche Wohl im Blick bleiben sollte. Nur so können lineare Regeln, Organisationsformen, Wissensordnungen aber auch und vor allem Wert- und Zielvorstellungen überwunden und neu ausgerichtet werden.

Um die Circular Society von einer Position zu einem transformativen Konzept weiterzuentwickeln, bedarf es eines offenen und transdisziplinären Prozesses, der konsequent Akteur*innen aus allen gesellschaftlichen Sektoren, z. B. aus Forschung, Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft zusammenführt.

Methodische Vorschläge und Vorgehensweisen

Als entscheidenden Hebel für die Etablierung einer Circular Society schlägt die Stiftung neue Formen der Wissensproduktion und der partizipativen Lösungsentwicklung vor. Denn bestehende Denk- und Handlungsweisen beruhen zumeist auf Erfahrungswerten und institutionalisiertem, etabliertem Fachwissen, das nicht zuletzt entlang der Logik und Wissensinteressen des bestehenden Systems produziert worden ist. Neue Arten der Wissensproduktion sind deshalb und angesichts der immer komplexeren gesellschaftlichen Herausforderungen gefragt. Beispiele dafür sind die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung, der Ansatz der transformativen Forschung, experimentelle Ansätze wie Reallabore oder aber partizipative Formen der Forschung in einer „Citizien Science”. Gemeinsam haben Ansätze dieser Art, dass zivilgesellschaftliche Akteur*innen aus der Praxis Gewicht und Teilhabe bei der Wissens- und Erfahrungsproduktion zugesprochen bekommen.

Aber wie kann diese Wissens- und Erfahrungsproduktion in einer Circular Society konkret aussehen? Die Hans Sauer Stiftung testet dies in eigenen Projekten aus und bedient sich dafür bei Methoden und Praktiken des Social Designs. Im Rahmen eines in der Stiftung geschaffenen social design labs werden Herangehensweisen aus dem Design, den Sozialwissenschaften und anderer Disziplinen und Fachbereiche konsequent zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen nutzbar gemacht und auf gesellschaftliche Transformationsprozesse angewandt. Im Verständnis und der Praxis des Labs heißt das unter anderem, dass partizipativ, iterativ, ergebnisoffen und in der Regel „bottom-up“ an Lösungen gearbeitet wird. Forschung, Praxisakteur*innen und die jeweils betroffenen Stakeholder(-gruppen) werden zusammengeführt und dann wird schrittweise und kollaborativ an Lösungen und Strategien gearbeitet. Dafür hat die Stiftung ein eigenes Prozessmodell entwickelt, welches nicht nur als operativer Wegweiser dienen soll, sondern sich auch tiefer gehend mit der Messung von Wirkungen und daraus resultierender gesellschaftlicher Transformation beschäftigt. Gleichzeitig versucht es, erarbeitetes Wissen und Projekterfahrungen übertragbar und nachahmbar zu machen. Mehr Informationen dazu findet man unter www.socialdesign.de.

Operative Projektarbeit und Handlungsfelder – Orte der Zirkularität

Die Stiftung hat sich für ein Pilotprojekt mit dem Ziel ein Anwendungsbeispiel im Kontext der Circular Society zu schaffen, mit einer Gemeinde bei München, Markt Schwaben, zusammengetan. Gemeinsam mit unterschiedlichen Stakeholdern wurde hier ein Prozess, bestehend aus unterschiedlichen zirkulären Teilprojekten, gestartet, um die Bewohner*innen für das Thema der Zirkularität zu sensibilisieren und zu aktivieren. Der lokale Wertstoffhof soll zu einem Mehrwerthof werden, der vielfältige Angebote für zirkuläre Praktiken macht. So wurde angeregt und moderiert durch die Stiftung ein Tauschkreis initiiert, es finden regelmäßige Repair-Cafés statt und an der örtlichen Schule gibt es entsprechende Bildungsangebote. Aber auch der Stadtraum wurde mit der Hilfe von Studierenden der TU München durch Stadtmöbel aus Rezyklaten aufgewertet – die Bewohner*innen der Gemeinde wurden über ein partizipatives Verfahren in die Wahl des Designs und des Standorts miteinbezogen.

(c) Hans Sauer Stiftung

Neben der Arbeit in Markt Schwaben engagiert sich die Stiftung aber auch in München. So gibt es aktuell zwei Kurse an TU München und an der Hochschule München, die mit unterschiedlichen Stakeholdern wie der Stadt oder dem Abfallwirtschaftsbetrieb München an konkreten Herausforderungen arbeiten und damit erste transdisziplinäre Lösungsgemeinschaften bilden. Schon bald soll es auch ein “Circular Munich”-Projekt geben, mit dem Methoden und Herangehensweisen für die Implementierung und Umsetzung von Circular Society-Ansätzen in der Stadt, oder Teilen der Stadt wie einzelnen Quartieren, erprobt werden sollen.

Zudem beschäftigt sich nun schon im dritten Jahr der jährlich ausgelobte „Hans Sauer Preis” mit Frage der Circular Society. Wettbewerbe können wie “Seismographen” für sich entwickelnde, neue Strömungen funktionieren. Im Fall der Circular Society-Wettbewerbe der Stiftung lässt sich das am großen Interesse und zahlreichen interessanten Einreichungen ablesen, die ein breites Bild vermitteln von den zahlreichen Forschungsarbeiten, konzeptionellen Beiträgen sowie praktischen Beispiele aus Initiativen und Praxisprojekten, die es bereits in ganz Europa gibt. In diesem Jahr beschäftigt sich der Preis mit dem Thema „Circular Cities“. Mehr Informationen dazu gibt es auch auf www.hanssauerstiftung.de.

Eine transdisziplinäre Suchbewegung / ein Netzwerk

Nicht nur die Stiftung beschäftigt sich mit einer Erweiterung bzw. Ergänzung der Circular Economy-Ansätze um gesellschaftliche Aspekte. Genauer betrachtet gibt es zudem noch keine allgemein gültige und konkrete Vision oder gar ein feststehendes Bild einer Circular Society.

So fiel der Entschluss mit anderen Interessierten und Aktiven aus Berlin eine gemeinsame, transdisziplinäre Suchbewegung zu initiieren. In diesem Zusammenhang fand im Oktober 2020 ein “Circular Society Gathering” statt, das Fragen zur Entwicklung einer gemeinsamen Vision, aber auch zu Kriterien und Charakteristika einer Circular Society aufgeworfen hat, gleichzeitig das Verhältnis des Konzepts zu anderen Nachhaltigkeitskonzepten bzw. -strategien thematisierte.

Am 24. Februar 2021, sowie an den Tagen davor und danach soll es ein weiteres, offenes Circular Society-Format geben: Beim „Circular Society Forum” werden viele der oben angerissenen Fragen und Aspekte vertieft. Um möglichst vielfältige Positionen aus Wissenschaft und Praxis abzubilden, gibt es einen offenen Call, der sich an alle richtet, die am Begriff der „Circular Society” und einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft nach den Prinzipien der Zirkularität interessiert sind – sei es als Praktiker*in, Entscheidungsträger*in, Forscher*in oder Bürger*in. Den Call findet man hier: www.circularsociety.de.

Autorinnen:
Nadja Hempel & Barbara Lersch