Interview mit Eileen Mandir

Foto von Stefan Eigner
Foto von Stefan Eigner

Eileen Mandir ist Professorin der Fakultät Design an der Hochschule München und forscht zur Rolle des Design im Kontext von sozialem Wandel und transformativen Prozessen. Zuvor lehrte sie an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd. Zusammen mit ihrem Kollegen Benedikt Groß veröffentlichte sie 2022 das Buch „Zukünfte gestalten – Spekulation. Kritik. Innovation.“. 

 

// 21.02.2023 

social design lab: 

Eileen Mandir, Sie wurden mit dem Wintersemester 2022/23 an die Hochschule München berufen und kommen von der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd. Was bringen Sie aus Ihrer Lehre dort mit? 

Eileen Mandir: 

In Gmünd war ich hauptsächlich im Master „Strategische Gestaltung unterwegs und hatte vor allem zwei Fächer unterrichtet. Einmal das große Gestaltungsprojekt im zweiten Semester des Masters. Dort ging es um das Gestalten von Zukunftsszenarien. Und zum andern ein Wahlpflichtfach zum Thema „Organizational Design“, bei dem Studierende Design im Kontext von Organisationen und deren Wandel anwenden sollten. Beide Themen finden sich auch ein Stück weit jetzt in meinen Kursen hier in München wieder. Ich unterrichte im Bachelor „Design“ z. B. das Fach „Design Management“ und gebe dort eine methodische Einführung wie man Design auf große Kontexte anwenden kann, z. B. auf Services, Organisationen, Kultur etc. Im Fach „Zukunftsstrategien“ im Master „Angewandte Designforschung biete ich unter anderem einen Kurs an, in dem die Studierenden mit Methoden des Design-Futuring sich mit den großen Veränderungen unserer Gesellschaft auseinandersetzen. 

 

social design lab: 

Die neue Stelle heißt „Systemisches Design im Kontext von sozialem Wandel und transformativen Prozessen“. Wie lassen sich Systeme gestalten?  

Eileen Mandir: 

Bei der systemischen Gestaltung geht’s häufig erst mal darum, dass man einen Kontext absteckt für den man gestalten möchte und das geht deutlich über die Interaktion von einem Menschen mit einem Artefakt hinaus – wie wir es aus dem klassischen Produktdesign oder Interactiondesign kennen. Im systemischen Design sind viele Menschen über verschiedene Touch-Points miteinander in Kontakt. Nehmen wir z. B. das Gesundheitssystem oder ein Stadtquartier. Hier ist es erst mal wichtig, alle Player und Akteure zu verstehen, die miteinander in Beziehungen sind. Design bedeutet in diesem Kontext durch Artefakte, aber auch Mentefakte und Soziofakte einen Veränderungsprozess anzustoßen. Hier kann Design zum Beispiel in Form einer Intervention seine systemische Wirkung in entfalten. Design ist dann ein Hebel um etwas sichtbar zu machen, in Bewegung zu bringen, die Vorstellungskraft anzuregen, damit Veränderung machbar wird. Gestalten für Systeme bedeutet also mehr Prozess als fertiges Endprodukt.  

 

social design lab: 

Diese Professur wurde mit der Hightech Agenda des Freistaats Bayern geschaffen: Wie findet sich hier systemisches Design wieder und was hat das mit dem Gestalten von Gesellschaft zu tun? 

Eileen Mandir: 

Bei „Hightech Agenda“ denken die meisten an: KI, VR, Lasertechnik etc. Und ja, die bayerische Landesregierung hat dieses Programm aufgesetzt damit Hochschulen das Potential entfalten können um technologische Innovationen, Patente, Gründungen hervorzubringen. Technologie spielt auch im Systemischen Design eine große Rolle. Allerdings geht es bei mir eben auch sehr stark um die soziale Komponente. Mich interessieren nicht nur die möglichen Applikationen, sondern vor allem auch die übersehenen Implikationen. Welche Folgen hat eine Technologie auf unser alltägliches Zusammenleben, unsere Demokratie, unsere Lebens- und Geschäftsmodelle, unsere Sozialstrukturen und Quartierskulturen? Nehmen wir z. B. die Digitalisierung an Schulen. Da sind neue Apps und Tablets im Unterricht zu etablieren ja nur ein Teilaspekt. Die möglichen Implikationen dieser neuen Medien auf das Gesamt-System der Schule sind das, was so schwer zu verstehen und zu gestalten ist. Wie verändern sich die Lernformen, Notenskalen, sozialen Interaktion der Kinder, die Rolle der Lehrer*innen und Eltern in der Schule der Zukunft? Wie kann Technologie genutzt werden um sozialere Systeme hervorzubringen? In meiner Lehre und Forschung befasse ich mich dabei auch mit Entrepreneurship. Wie können wir Geschäftsmodelle und Innovationen erdenken, die nicht gemacht sind für wie die Welt ist, sondern für wie die Welt sein sollte? 

 

social design lab: 

Wie stehen Sie zum Begriff Social Design – welche Zusammenhänge gibt es? 

Eileen Mandir: 

Oh, das ist eine große Frage. Ich würde sagen „Social Design“ und „Systemic Design“ haben eine große Schnittmenge oder – anders gesagt – viele Anknüpfungspunkte. Im Social Design widmet man sich sozialen Problemstellungen, z. B. der Verbesserung der Kultur am Arbeitsplatz, dem Austausch zwischen den Generationen in einem Stadtquartier etc. Die Gestaltungsabsicht ist eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Soziale Prozesse, Dialog, Partizipation stehen klar im Vordergrund im Gestaltungsprozess. Systemisches Design ist agnostischer was die Problemstellung und Methodik angeht. Wie im Social Design sind die Problemräume im systemischen Design immer große Kontexte und längere Zeiträume, die Gestaltungsabsichten sind aber breiter. Es geht um Innovationen in Form von Produkten, Services, Prozessen, Policies etc. Es geht aber auch um sozialen Wandel und Diskurs unterstützt durch spekulative Szenarien oder diskursive Artefakte. Oder manchmal auch um Intervention als harsche Kritik. Eine methodisch, analytische und systematische Herangehensweise ist typisch für systemisches Design. 

 

social design lab: 

In Ihrer Laufbahn haben Sie sich viel mit Verkehr und Mobilität auseinandergesetzt. Inwiefern spielt dieses Thema eine Rolle in Ihrer jetzigen Lehre und Forschung? 

Eileen Mandir: 

Ja – stimmt. Mobilität und Verkehr „verfolgen“ mich schon seit geraumer Zeit in meinen unterschiedlichen Rollen. Zu Anfang war ich als Verkehrswissenschaftlerin damit befasst Verkehrsströme zu simulieren und Entscheidungsverhalten von Verkehrsteilnehmer*innen zu verstehen und zu prognostizieren. Später habe ich als Produktmanagerin Mobilitätsdienste entwickelt wie z. B. Car-Sharing, Ride-Pooling etc. Als Strategieberaterin habe ich mich dann viel mit Verkehrssystemen beschäftigt, z. B. mit Public-Private-Partnerships und Betriebsmodellen von autonomen Taxiflotten. In meiner jetzigen Rolle als Professorin für Systemisches Design tauchen natürlich auch immer wieder Fragestellungen aus dem Kontext Mobilität auf, weil die Verkehrswende eins der großen Transitions-Themen unserer Zeit ist. Vor dem Hintergrund des Klimawandels sind offene Forschungsfragen: Wie können autofreie Städte funktionieren? Wie ändern sich unsere Quartiere und unser urbanes Zusammenleben? Inwieweit sind unsere Lebens- und Arbeitsmodelle vom Auto abhängig? Wie sehen Alternativen aus? Mobilität liefert also jede Menge Futter für systemische Fragestellungen und ist ein großer Treiber gesellschaftlichen Wandels. Daher spielen Kooperationen im Mobilitätsbereich in meiner Forschung und Lehre eine große Rolle für das Arbeitsfeld „Transformative Prozesse und sozialer Wandel“ an unserer Fakultät.  

 

social design lab: 

Zuletzt haben Sie zusammen mit Ihrem Kollegen Benedikt Groß das Buch „Zukünfte gestalten – Spekulation, Kritik, Innovation“ herausgegeben. Was war die Motivation dahinter und wozu sprechen wir über Zukünfte? 

Eileen Mandir: 

Unsere Motivation ein Buch zu schreiben, kam aus zwei Richtungen. Zum einen ist uns tatsächlich bei unserer persönlichen Praxis als Designer*in immer häufiger die Situation begegnet, dass wir keine klaren Aufgabenstellungen bekamen, sondern eher mit „Fuzzy Briefings“ konfrontiert waren. Zum Beispiel wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wie sieht die Zukunft der Kirche aus? Was ist die Zukunft der Demokratie? Unsere Welt ist komplex und Designer*innen kommen immer öfter in die Rolle wünschenswerte Zukunftsbilder und verständliche Szenarien zu entwerfen, die Auftraggeber*innen helfen jenseits der Zahlen und Fakten auch emotional zu verstehen was ihr Platz in der zukünftigen Welt ist. Hier öffnet sich ein gänzlich neues Wirkungsfeld für Designer*innen. Daraus ergibt sich der zweite Beweggrund für unser Buch. Wir brauchen neue Kompetenzen um dieses Wirkungsfeld zu bespielen. Und da haben wir uns die Frage gestellt: Wie unterrichtet man das Gestalten von Zunftsszenarien? Dazu benötigen wir sowohl ein solides theoretisches Fundament, einen methodischen Werkzeugkoffer und robusten Kreativprozess, der auch in partizipativen Formaten gut funktioniert. Unser Buch soll dazu betragen „Design Futuring“ als Kernkompetenz stärker in der Design Ausbildung zu verankern. 

 

social design lab: 

Worauf freuen Sie sich mit Ihrer Berufung in München am meisten? 

Eileen Mandir: 

Natürlich auf München ☺︎ Nein, am meisten freue ich mich tatsächlich als Professorin einen neuen Wirkungsort und Denkraum zu haben, um mir wichtige Themen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Zum Beispiel „Design als Werkzeug in der Zukunftsforschung“, „Design als Medium und Mittel um Diskurs und Wandel zu befähigen“, „Design als Vermittlungsdisziplin zwischen Forschung, Politik und Gesellschaft“. An der Hochschule München habe ich eine großartige Plattform, mit Expertisen und Netzwerk um diesen Themen Relevanz und Sichtbarkeit zu verleihen. Und, mein Wechsel an die Hochschule München gibt mir die Möglichkeit interdisziplinäre Kurse anzubieten um systemische Fragestellungen mit Studierenden aus dem Design, aus der Soziologie, aus den Wirtschaftswissenschaften, aus der Informatik etc. zu bearbeiten. Darauf freue ich mich sehr. 

 

// Vielen Dank für das Gespräch 

Interview: Simon Wallis, Hans Sauer Stiftung