Jesko Fezer ist Professor für Experimentelles Design an der HFBK Hamburg. Er arbeitet als Architekt, Autor, Designer, Künstler und Ausstellungsgestalter. Seine Arbeit setzt sich mit den politischen und sozialen Kontexten von Gestaltungsproblemen auseinander und erforscht hierbei die Möglichkeiten von Mitbestimmungs- und Verhandlungsprozessen.
Im Interview spricht er u.a. über die Bedeutung von Design und über die „Öffentliche Gestaltungsberatung“, die das Hauptprojekt des Studienschwerpunkts Experimentelles Design ist.
//10.09.2019
social design lab:
Herr Fezer, Sie unterrichten Experimentelles Design im Studiengang Bildende Künste an der HFBK in Hamburg. Auf der Homepage des Studienschwerpunkts Design der HFBK steht, dass Design ein mächtiges Werkzeug ist, mit dem man verhandeln kann, in welcher Welt wir leben. Inwiefern denken Sie, dass Design einen Einfluss auf unsere Gesellschaft hat?
Jesko Fezer:
Design begründet sich einerseits aus gesellschaftlichen Bedürfnissen, es reagiert auf soziale Fragen und greift Themen der Gegenwart auf. Andererseits interveniert es in die Umwelt, gestaltet für Bedürfnisse und schafft so gesellschaftlich wirksame Dinge, Systeme und Strukturen. Das ist eine wechselseitige Zwangsbeziehung, die wir Designer*innen sehr schätzen. Unsere Welt wird immer eine gestaltete sein und Gestaltung braucht den Weltbezug (das Soziale). Design ist darum radikal bedingt und hat eine sehr enge und produktive, aber auch problematische Beziehung zur Wirklichkeit gesellschaftlichen Lebens. Die spannende Frage ist daher nicht ob Design Einfluss hat, sondern wie die notwendige und unvermeidliche Beziehung von Design zur Lebenswelt aussieht.
social design lab:
Ist Experimentelles Design auch Social Design?
Jesko Fezer:
Auf jeden Fall. Design, das nicht Social Design ist, ist gar kein Design. Da wir unsere Welt primär als gesellschaftliches Gefüge wahrnehmen und sie keine Ansammlung von Material oder Schöpfung einer vorrangigen Idee darstellt, kann Design nur im sozialen Bezug existieren. Social Design nennt sich eine zeitgenössische Designpraxis, die sich intensiver, weitergehender und engagierter mit den gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit beschäftigt. Natürlich gibt es auch Formen von Design, die den gesellschaftlichen Kontext komplett ignorieren, diese haben aber für mich wenig mit Design zu tun, bzw. affirmieren meist unhinterfragt den Status Quo und sind damit auf tragische Weise auch sozial. Vielleicht stellt Experimentelles Design wie wir es an der HFBK verstehen die Rahmenbedingungen der Gestaltung etwas mehr in Frage und riskiert ein wenig mehr Uneinverständnis, ist etwas weniger gutgemeint oder experimentell kritischer als manch anderes Social Design.
social design lab:
Hat sich das Selbstverständnis von Design über die Jahre verändert?
Jesko Fezer:
Ich glaube, es gibt in den Diskussionen unter Designer*innen oder auch an den Hochschulen in den letzten Jahren schon eine intensivere Auseinandersetzung über die Rolle des Designs in der Gesellschaft. In den 1980er und 1990er Jahren hatte man sicher eine andere Vorstellung von Design, aber auch eine andere Einstellung zur Konsumkultur. Das hat sich mittlerweile verändert, weil die Umweltkrise und soziale Ungerechtigkeiten inzwischen nicht mehr zu übersehen sind. Andererseits strebte Design schon in seinen Ursprüngen, wo auch immer man die verortet, an, das Leben der Menschen positiv zu transformieren. Das heißt, der soziale Impact von Design ist eine grundlegende Perspektive, die vor lauter Pragmatismus und berufspraktischen Fragen zeitweise in den Hintergrund gerückt ist. Wenn wir das im Jahr des Bauhaus Jubiläums betrachten, wenn man sich den Werkbund anschaut oder die HfG Ulm und Papanek’s Wirken – die ganze Geschichte des Designs ist durchdrungen von den intensiven Versuchen das Gesellschaftliche in den Blick zu kriegen.
social design lab:
Um nun mal konkret auf das Studio Experimentelles Design einzugehen, welche Inhalte und konkrete Projekte gibt es?
Jesko Fezer
Im Studio Experimentelles Design betreiben wir seit 2011 die öffentliche Gestaltungsberatung. Mit diesem Arbeitsformat bieten wir hauptsächlich in Hamburg St. Pauli Anwohner*innen eine Sprechstunde an, zu der sie mit ihren Alltagsproblemen, Ideen, Wünschen und Perspektiven kommen können. Unsere Arbeitshypothese geht davon aus, dass Gestalter*innen auch für die Bearbeitung von Alltagsthemen sinnvolle Beiträge leisten können, dass die Auseinandersetzung mit wirklichen Problemen zum Designstudium gehört, dass Design sich mit den drängenden Fragen der Gegenwart befassen sollte, und das am besten gemeinsam mit den davon Betroffenen.
social design lab:
Wird das von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen?
Jesko Fezer:
Wir haben über die vielen Jahre ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manchmal war unsere Sprechstunde überlaufen und manchmal mussten wir uns wieder bei den Nachbar*innen in Erinnerung rufen. Die Studierenden haben mit ganz unterschiedlichen Anliegen zu tun. Von konkreten, kleinen Alltagsproblemen über Stadtteil-Themen bis hin zu großen Projekten, die den Rahmen von St. Pauli überschreiten. Insgesamt besteht ein großes Bedürfnis an gestalterischer Zusammenarbeit, vor allem von Menschen, die üblicherweise nicht Design-Auftraggeber*innen sind, weil sie eben nicht in der ökonomischen und/oder sozialen Lage sind, dies zu tun. Es ist längst nicht jedem bewusst, dass es bei Design nicht nur um ästhetische Attraktion geht, sondern auch um gesellschaftliche Herausforderungen. Aber auch von Seiten der Designer*innen besteht ein zunehmendes Interesse, sich direkter zu engagieren und auch sozial wirksam zu arbeiten. Das ist mit Sicherheit ein Lernprozess, der von allen gemeinsam unternommen werden muss.
social design lab:
Wie funktioniert die Organisation für die Sprechstunde zwischen den Studierenden?
Jesko Fezer:
Im Studio Experimentelles Design gibt es ca. 20 Leute, die gemeinsam in der Gestaltungsberatung arbeiten. Die Sprechstunde führen 2 bis 5 Studierende und nehmen dort Projektanfragen entgegen. Am nächsten Tag wird dann im Plenum besprochen, welche Anfragen es gibt und wer diese Aufgaben bearbeiten möchte. So bilden sich Arbeitsgruppen, die sich mit den Auftraggebern*innen verabreden und alle Akteure einbeziehen. Die Arbeit findet dann im Atelier, in den Werkstätten oder vor Ort statt.
social design lab:
Was für einen Hintergrund haben die Studierenden im Studio Experimentelles Design?
Jesko Fezer:
Die HFBK ist als Kunsthochschule offen für künstlerisch begabte und interessierte Menschen – egal welcher Hintergrund, welche Vorerfahrung oder berufliche Perspektive. Die Studierenden werden so auch oft von anderen künstlerischen Disziplinen oder wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkten beeinflusst. Insofern ist das eigentlich sehr heterogen.
social design lab:
Was wünschen Sie sich für die Zukunft für das Studio Experimentelles Design?
Jesko Fezer:
Ich würde sagen, ich bin diesbezüglich frei von ganz großen Wünschen und ziemlich glücklich mit den Möglichkeiten, die wir an der HFBK haben. Ich glaube, eine dringliche Aufgabe ist, den Austausch zwischen unterschiedlichen sozial engagierten Projekten zu intensivieren und auch Arbeitsstrukturen außerhalb der Hochschule in diese Netzwerke einzubinden. Unterschiedliche Gruppierungen und Projekte, die versuchen in der Lehre und Praxis einen anderen Designbegriff zu etablieren, sind wichtig und sollten gefördert werden. Das ist eine gemeinsame Aufgabe für Studierenden, Lehrende und Gestalter*innen
// Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Sarah Dost, Hans Sauer Stiftung
Foto: Eva Lechner