Günther Grall entwickelt und leitet neben dem Studiengang Design und Produktmanagement an der Hochschule Salzburg auch die Forschungsgruppe DE RE SA (Design Reseach Salzburg), die an der Objektivierung von Entscheidungskriterien im Produktentwicklungsprozess forscht.
Im Interview spricht er u.a. über die Programmatik des Studiengangs, Circular Design und die hauseigene Materialforschung zu biogenen Werkstoffen.
//08.07.2019
social design lab:
Herr Grall, meine erste Frage betrifft den Namen des Studiengangs. Dieser heißt Design und Produktmanagement und lässt nicht sofort auf den dem Studiengang übergeordneten Ansatz des Circular Designs schließen. Warum ist das so und was verrät uns das über den Studiengang?
Günther Grall:
Früher reichte es aus, das beste Produkt zu gestalten. Heute müssen Produkte auch vermarktet werden, brauchen einen Businessplan. Deshalb haben wir die beiden Komponenten in einem Studiengang verbunden: Der Studiengang ist halb Marketing, halb Design.
Dabei sind wir uns der Kraft von Marketing und Design bewusst und wollen die Verantwortung der Designer*innen und Produktmanager*innen hochlegen. Wir sind der Meinung, dass Design und Marketing erst einmal etwas Fragwürdiges sind. Es ermöglicht, Kunden und Kundinnen Dinge einzureden, die sie dann unbedingt haben wollen und schließlich wieder wegwerfen. Andererseits erlaubt uns diese Kombination gute Produkte zu gestalten und auch zu vermarkten, die den Nutzer*innen das geben, was sie brauchen und gleichzeitig ökologisch sind. Dabei sehen wir den ökologischen Aspekt als Standard und wollen ihn gar nicht so stark in den Vordergrund setzen. Bevor wir diesen Studiengang gründeten, hatten wir in Österreich einen Studiengang mit dem Titel Eco-Design. Bei diesem haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir lediglich öko-soziale Zielgruppen ansprechen. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir aber alle Zielgruppen erreichen. Deswegen wollen wir den ökologischen Aspekt nicht mehr im Namen des Studiengangs hervorheben.
social design lab:
Sie möchten den Studiengang nicht mehr mit „Eco“ labeln, weil Sie dann nicht die gewünschten Zielgruppen bei den Konsumenten und Konsumentinnen, aber auch bei den Studierenden erreichen?
Günther Grall:
Beides, genau. Es geht nicht darum, dass wir eine Nische bearbeiten. Im Gegenteil, unser gesamtes Tun muss nachhaltig werden, Nachhaltighkeit soll nicht zur Distinktion missbraucht werden. Deshalb wollen wir gutes Design machen, das von Grund auf ökologisch ist und dafür auch gute Geschäftsmodelle entwickeln.
social design lab:
Erreichen Sie nun die Zielgruppe bei den Studierenden, die Sie erreichen möchten?
Günther Grall:
Es kommen natürlich auch viele Studierende, die „happy, shiny“ Produkte entwerfen wollen. Wir wollen die besten Designer*innen und Marketer*innen haben und nicht die, die insbesondere ökologisch arbeiten wollen. Wir glauben, dass wir die Studierenden im Studium so gut informieren, dass sie am Ende des Studiums nichts gestalten werden, was die Welt zumüllt. Wenn diese fachlich guten Leute von Haus aus ökologisch denken, dann werden wir die Effekte erzielen, die wir wollen.
social design lab:
Dabei profitiert der Studiengang von der Anbindung an das Forschungsinstitut DE I RE I SA (Design Research Salzburg).
Günther Grall:
Sowohl von DE I RE I SA als auch von der hauseigenen Materialforschung zu biogenen Werkstoffen profitiert der Studiengang. Beide Forschungsabteilungen beeinflussen natürlich nicht nur den Studienalltag, sondern das Denken und Arbeiten generell. Wir haben die glückliche Situation, dass in unseren Forschungswerkstätten Materialien entwickelt werden, bei denen die Forscher*innen erst einmal nicht wissen, was man damit machen kann. Diese Materialien geben wir häufig den Designstudierenden, welche wiederum damit experimentieren und Feedback geben. Auf der anderen Seite lassen wir die Studierenden selbst Platten und andere Halbfertigprodukte mit den Gerätschaften der Forschungsabteilung produzieren. Da geht natürlich oftmals einiges schief. Dennoch gibt es immer wieder Prototypen, die großes Potential bieten. Im vergangenen Jahr haben Studierende zum Beispiel Platten aus Kakaoschalen und Lederholzresten gefertigt. Diese Prototypen sind so gut geworden, dass sie nun von der Forschung am Institut aufgenommen und weiterentwickelt wurden.
social design lab:
Inwiefern werden die Beteiligten und Betroffenen dabei mit in den Designprozess einbezogen?
Günther Grall:
Im Designprozess ist es heute ganz normal, Empirie, Kundenverhalten, Kundenumfragen und andere Methoden zu verbinden. Früher reichte es, wenn das Design so gemacht wurde, dass sich der Kunde abgeholt fühlte. Dann kam die Relevanz der Anzeigefunktion, sodass sich ein Produkt selbst erklärt. Nachhaltigkeit ist seit den 70er/ 80er Jahren im Designprozess ein Thema, die Kundenintegration seit den 80er/ 90er Jahren nicht mehr wegzudenken. Heute sind wie die Anzeigefunktion auch Entwicklungen wie ‚Social Design‘, ‚Inclusive Design‘, ‚Universal Design‘ Standard geworden.
Im Prinzip ist es im Design Thinking immer so, dass man die Nutzer*innen und die relevanten Stakeholder mit an Bord holt und mit in den Designprozess integriert. Für eine Masterarbeit ist bei uns eine mindestens zweistufige Empirie Pflicht.
social design lab:
Können Sie beispielhaft Masterprojekte nennen, bei denen Sie sagen, dass die Studierenden die Prinzipien des Studiengangs gut umgesetzt haben?
Günther Grall:
Da gibt es einige schöne. Ich finde zum Beispiel die Paletten von Raphael Klaffenböck wunderbar. Er hat modulare Euro-Paletten für Hilfslieferungen entwickelt, da er die Erfahrung gemacht hat, dass es beispielsweise in Erdbebenregionen, in die Hilfsgüter wie Lebensmittel und Medikamente geliefert werden, meist keine Tische und Stühle etc. gibt. Oft fangen die Hilfskräfte vor Ort an die Euro-Paletten zu zerbrechen und aus dem Holz einen Tisch zu bauen, um mit der Ausgabe der Güter beginnen zu können. Raphael hat ausgehend von dieser Misere Paletten entwickelt, die sich vor Ort ganz einfach in Tische, Stühle, Betten, Latrinenschutz, Baren etc. umwandeln lassen.
Ein anderes Beispiel: Isabell Steiner wusste lange nicht, was sie in ihrer Masterarbeit machen soll. Letztlich ist sie nach Kenia gefahren und hat einen Monat mit Massai gelebt. Die Familie dort ist jeden Tag zum Wasserholen eine Stunde hin und zurück gegangen. Für den Wassertransport haben sie alte Speiseölkanister verwendet. Isabell hat sich diese angeschaut und eine neue Form entwickelt, die zweifachen Mehrwert leistet. Zum einen ermöglicht die stapelbare Form einen effizienteren Transport der Speiseölkanister und bringt somit finanzielle Vorteile für das Unternehmen. Zum anderen hat er einen erhöhten Tragekomfort für die Massai und bietet die Möglichkeit ihn in der Sonne von allein auf über 60 Grad zu erhitzen und so die schlimmsten Keime abzutöten. Es ist ein relativ komplexer Entwurf, der über mehrere Produktlebenszyklen etwas Gutes tut. Isabell hat die Daten Herstellern zur Verfügung gestellt und wir hoffen, dass die Entwürfe demnächst eingesetzt werden.
social design lab:
Wie streng werden die Circular Design Prinzipien, z. B. bei der Wahl der Materialien und der Art der Verarbeitung, von den Studierenden genommen?
Günther Grall:
Der Kreislauf ist ja vielschichtig. Das wird ganz schön in der Studiengangs-Publikation „Kreislaufwirtschaft in Design und Produktmanagement: Co-Creation im Zentrum der zirkulären Wertschöpfung“ von Walcher und Leube dargestellt. Die Grafik zeigt, dass es unterschiedlich Zyklen gibt, die unterschiedlich lang sein können. Im Prinzip ist uns wichtig, dass wir den roten Ausweg zur Entsorgung vermeiden. Wie der Kreislauf aussieht, ist abhängig vom Projekt. Wir müssen schauen, dass die richtigen Ausgangsmaterialien verwendet werden. Dafür ist es wichtig, dass wir bessere biogene Materialien bekommen, die wir für die Produktgestaltung verwenden können. Wir müssen in der Materialforschung weiterkommen und diese Dinge im Design einsetzen. Meistens geht es nicht nur darum das Material zu substituieren, sondern es ändert sich dann auch die Form. Eine spannende Entwicklung sind Holzschäume. Einen Stuhl mit Holzschaum zu machen ist nicht einfach. Die ersten Ansätze aus einem Semesterprojekt, das wir mit diesem Material gemacht haben (Ich backe einen Stuhl), waren sehr vielversprechend und ein guter Ansatz. Der Holzschaum ähnelt in seiner Konsistenz Styropor, ist aber 100 Prozent kreislauffähig. Wenn Designer*innen in einem so frühen Stadium der Forschung schon mit den Materialien experimentieren, ist das natürlich wertvoll für die weitere Entwicklung.
social design lab:
Ist das Denken in Kreisläufen eine Herausforderung für die Studierenden?
Günther Grall:
Natürlich ist es herausfordernder als etwas nachzumachen. Aber ich denke, wenn man zeigt, dass es genau um diese Herausforderung geht, dann ist es kein Problem. Im Gegenteil, die Studierenden von heute wissen oft schon Bescheid. Auch aus Designsicht ist die Zirkularität eine Chance. Jedes neue Material bringt neue Formen und neue Klassiker hervor. Verner Panton’s und Eames‘ Stühle sind deshalb so ikonisch, weil sie damals mit Kunststoff experimentiert haben und neue Formen hervorgebracht haben. Das sind tolle Entwürfe, die erst durch das neue Material möglich wurden. An so einer ähnlichen Schwelle sind wir auch heute. Deshalb ist es spannend sich damit auseinanderzusetzen.
social design lab:
Welchen weiteren Herausforderungen müssen sich die Studierenden stellen?
Günther Grall:
Die Behäbigkeit der Industrie ist eine Herausforderung. Viele arrivierte Unternehmen haben ihre Anlagen noch nicht abgeschrieben und wollen wenig ändern. Dies zu ändern, ist eine große Herausforderung, denn neue biogene Materialien brauchen neue Lieferketten und oft auch neue Maschinen. Daher glaube ich, dass sich künftig immer mehr Studierende selbständig machen, denn wenn man an etwas glaubt, will man es umgesetzt sehen. Früher hat man einen guten Cradle to Cradle-Sportschuh gemacht und hatte das Ziel, dass er von adidas auf den Markt gebracht wird. Heute gründen die Studierenden eine eigene Marke, produzieren selbst und im besten Fall regional. Wenn man sich die Projekte der Studierenden anschaut, ist das wirklich motivierend. Bei ihnen ist alles ganz selbstverständlich kreislauffähig.
social design lab:
Nach den Erfahrungen aus den letzten Jahren, wie kann Design gut gemacht, gelehrt und gelernt werden?
Günther Grall:
Wir bemühen uns erst einmal die Basis zu vermitteln. Design ist im Prinzip ein Handwerk. Wir müssen Methoden können, Tools beherrschen und sehr empathisch sein. Design selbst ist erst einmal eine Botschaft. Die Kunden kaufen die Produkte, weil sie eine Botschaft senden wollen. Als Designer*in muss ich diese Botschaften spüren. Mehr noch, ich muss in der Lage sein diese Botschaften in Produkte zu übersetzen. Das ist erst einmal handwerklich. Über diese handwerkliche Grundausbildung hinaus, braucht es ein Verständnis für die Industrie, für die Technik, für Marken und Zielgruppen. Eine relativ breite Ausbildung ist erforderlich. Wir versuchen, dass wir in den ersten Semestern einen sehr umfassenden Designbegriff mitgeben. So dass die Studierenden als Junior Designer arbeiten können und die ökologischen Aspekte verinnerlichen. In den oberen Semestern und intensiv im Masterstudium kommt dann Management und Leadership dazu. Dabei geht es um das koordinieren von Markenauftritten und das Schaffen von Visionen.
social design lab:
Wo sehen Sie den Studiengang in fünf Jahren?
Günther Grall:
Unseren Studiengang gibt es nun seit 17 Jahren. Als wir damals begonnen haben, waren wir die ersten und haben gedacht, dass künftig einige mehr auf den Zug aufsteigen werden. Wir waren schon damals überzeugt, dass es nicht mehr reicht, nur gutes Design zu machen, sondern dass man sich auch um die Vermarktung Gedanken machen muss. Dabei hatten wir von Anfang an einen sehr starken ökologischen Fokus und waren damit absolute Vorreiter. Jetzt gibt es uns seit 17 Jahren und wir haben nicht das Gefühl, dass wir alt geworden sind. Wir sind eigentlich immer noch ein ziemlich avantgardistischer Studiengang. Was Nachhaltigkeit betrifft, ist viel geschehen. Spätestens seit Victor Papanek in den 70er Jahren ist das Thema auch im Design präsent.
In fünf Jahren müssen wir noch genauso aktuell sein wie heute und das, was wir machen, weiterhin gut machen. Wir werden uns weiterhin mit den Kollegen und Kolleginnen aus der Forschung vernetzen. Vielleicht machen wir bis dahin auch wieder das ein oder andere größere Projekt gemeinsam. Wir haben 2013 am Solar Decathlon als Team Austria teilgenommen. Das fakultätsübergreifende Projekt war ein hervorragendes und herausragendes Projekt, aber auch extrem aufwändig. Das komplette Interieur wurde in unseren kleinen Werkstätten produziert. Das war super lässig und hat viel hervorgebracht. Natürlich war es schön, dass wir den Solar Decathlon dann auch gewonnen haben. Das spannendere war aber eigentlich, dass die Materialien, die wir im Zuge dessen entwickelt haben, in der Forschung zum Thema geworden sind. Wir haben 2011 mit dem Projekt begonnen, seitdem nimmt die Rindenforschung immer weiter zu. Jetzt gibt es die ersten Start-ups, die Rindenkühler für Wein machen. Da ist gerade Haselsteiner, ein österreichischer Groß-Unternehmer eingestiegen, um Verpackungen zu machen. Das ist ein schönes Beispiel, bei dem ein Designer den Grundstein legte, weil er wirklich alles vom Baum nutzen wollte. In der Forschung hat man dann die Isolationsfähigkeit und weitere hervorragende Eigenschaften festgestellt. Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren wieder so ein Projekt haben und eine große Herausforderung annehmen.
social design lab:
Was wünschen Sie sich konkret für die nächste Kohorte?
Günther Grall:
Ich wünsche mir genauso motivierte und clevere Studierende, wie wir sie jetzt haben. Ich bin wirklich zufrieden, was das betrifft. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir viele Bewerbungen haben und dass wir hervorragende, motivierte und talentierte Kollegen und Kolleginnen aufnehmen können. Ich wünsche mir, dass sie das, was sie für ihre Entwicklung brauchen, bei uns in Kuchl vorfinden. Daran arbeiten wir. Wir möchten die besten Rahmenbedingungen für die Entwicklung unserer Studierenden bieten.
// Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Nadja Hempel, Hans Sauer Stiftung