Interview mit Pelin Celik

Foto von Daniel George
Foto von Daniel George

Pelin Celik studierte Integriertes Produktdesign an der Hochschule Coburg und war nach ihrem Abschluss international in namhaften Design-Büros wie designaffairs oder TEAMS Design sowie Unternehmen wie Villeroy & Boch, Buderus, Melitta, Bausch + Lomb u. v. m. tätig. Seit 2019 ist sie stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Internationalen Design Zentrums Berlin (IDZ), Jurymitglied des UX Design Awards und seit 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Holistic Human Experience, Systems Thinking und partizipative Designprozesse.

Sie ist Professorin im Studiengang Industrial Design sowie im 2020 etablierten Masterstudiengang System Design / Game Design an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Wir haben Prof. Pelin Celik einige Fragen zum Master System Design gestellt.

 

// 21.06.2023 

social design lab: 

Den relativ neuen Studiengang System Design gibt es seit 2020. Was erwartet die Studierenden hier? Welche konkreten Inhalte werden behandelt und welche Methoden kommen zum Einsatz?

Pelin Celik: 

Die Studierenden erwartet ein 3-semestriges Masterstudium im System Design, oder engl. Systemic Design, das sie befähigt, verknüpft zu denken und Komplexität begreifbar und kommunizierbar zu gestalten – weg vom linearen Denken und hin zu neuen Zukunftsperspektiven. Dabei können sozial nachhaltige Interventionen für verschiedenste Problemstellungen aus Politik, Wirtschaft, Gesundheitswesen etc. entstehen. Unser Curriculum ist im Vergleich zu anderen, kleinteiligeren Masterstudiengängen so aufgebaut, dass sich die Studierenden in den drei Semestern intensiv ihrem eigenen Projektthema widmen können, mit dem sie sich bei uns beworben haben, ohne zusätzliche Projektaufgaben. Während des Studiums erlernen sie nicht nur in einem 16-teiligen Sprint den von uns entwickelten dreistufigen System Design Prozess, den sie in Gruppenarbeiten auf ihr eigenes Projekt anwenden, sondern auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Systemtheorien, Methoden des Systems Thinking und weiteren international angewendeten Systemic Design Tools. Diese Konzentration auf das systemische Denken führt bei vielen Studierenden zu einem großartigen Mindshift und herausragenden Abschlussarbeiten, die allesamt sozial-ökologische Transformationsprozesse unterstützen. Dabei ist auch zu erwähnen, dass System Design (Systemic Design) und Systems Thinking zu den sogenannten Future Skills gehören, die vielfach in der Literatur diskutiert werden.

 

social design lab: 

Wer sollte sich bewerben?  

Pelin Celik: 

Jedes Jahr vergeben wir max. 20 Masterstudienplätze in einem Eignungsverfahren. Bewerben können sich Interessierte vornehmlich aus den gestalterischen Bereichen, aber wir haben immer wieder auch Ausnahmen aus anderen Disziplinen u. a. der Wirtschaftskommunikation, den Kulturwissenschaften oder Ingenieursstudiengängen.

 

social design lab: 

Können Sie Beispielprojekte aus dem Studiengang nennen?

Pelin Celik: 

Wir hatten die letzten Jahre viele spannende Masterprojekte, die unter anderem auf unserer Homepage zu finden sind. Dennoch möchte ich hier einige Themen aufzählen:

Circular Society Toolkit / A. Trawnitscheck

– Empowerment im Alter / C. Purbst

– Immigration Effect in German Job Market / G. Koç

– Designing Planet Responsible Futures / L. Jacobi

– Mobilität im ländlichen Raum / C. Soballa

– Paradigmenwechsel im Bekleidungskonsum / L. Gleisberg

– Schrebergärten an die Wand! Regeneriert die Ernährungskultur die Stadtlandschaft? / S. Herdegen & F. Müller

– Transforming Advertisement (nachhaltiges Handeln in Grafikdesignagenturen) / P. Weißenfeld

– Materialkreisläufe durch System Design / M. Escobar Saupe

– Toward Climate-Resilient City / Z. Pan

– A Critical Perspective on Racism in Medicine / A.-K. Stehle

 

social design lab: 

In welchen Arbeitsfeldern können sich Studierende nach dem Studiengang einbringen? Wie könnte ein beruflicher Werdegang nach dem Studium aussehen?

Pelin Celik: 

Unsere Absolvent*innen können sich mit ihrer systemischen Denkweise in verschiedensten Arbeitsfeldern zur Bewältigung von Transformationsprozessen einbringen und tätig werden – von der Unternehmensberatung über Service Design im Verwaltungs-, Gesundheits- und Pflegekontext bis hin zu Industrieunternehmen und Institutionen, die sozial-ökologischer handeln möchten.

 

social design lab: 

Was kann System Design zu sozial-ökologischen Transformationsprozessen beitragen?

Pelin Celik: 

Sozial-ökologische Transformationsprozesse sind oft hochkomplex und verknüpft. System Design kann hier helfen, die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Systemen zu verstehen. Das erfordert insbesondere eine transdisziplinäre Zusammenarbeit, d. h. die Zusammenarbeit von Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen und Sektoren sowie der Gesellschaft. Durch die co-kreative Analyse dieser komplexen Zusammenhänge können gezielte Maßnahmen gemeinsam entwickelt werden. Sowohl die partizipative Herangehensweise im System Design mit allen Stakeholdern als auch die Fokussierung auf Hebelpunkte im Systemkomplex ermöglichen eine bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse und Perspektiven der Betroffenen und führen zu nachhaltigeren Ansätzen sowie gezielten Interventionen mit hoher Akzeptanz- und Veränderungsquote. System Design kann also dazu beitragen, kritische Punkte in sozial-ökologischen Systemen zu identifizieren, an denen gezielte Interventionen zu großen Veränderungen führen können.

 

social design lab: 

Was wünschen Sie sich für den Master in Zukunft?

Pelin Celik: 

Tatsächlich mehr Aufmerksamkeit aus der Industrie. Wir hatten hier bereits einige sehr gute Unternehmenskooperationen, u. a. mit der Firma Schneider, die Teil der Smart Building Innovation Foundation (SBIF) ist. Dennoch hat ein Großteil der Industrie den Mehrwert des systemischen Designs und Systems Thinking nicht erkannt und hinkt der linearen Ordnung des Design Thinking nach, um noch mehr vermeintlich nachhaltige Innovationen zu schaffen.

Mit System Design können wir gemeinsam die herausfordernden Transformationsprozesse der Wirtschaft und Gesellschaft sozial und ökologisch verträglich gestalten.

 

social design lab: 

Welche drei Bücher oder Publikationen können Sie empfehlen?

Pelin Celik: 

Da reicht der Platz hier sicherlich nicht aus, da es vor allem sehr gute wissenschaftliche Artikel gibt. Um ein Grundverständnis von systemischem Denken und seiner Anwendung zu bekommen, sind folgende Bücher sehr zu empfehlen:

„Thinking in Systems“ von Donnella Meadows.

„Systems Thinking for Social Change“ von David Peter Stroh.

„Designing Complexity“ von Birger Sevaldson (ein sehr erfahrener und von mir geschätzter Kollege in Norwegen, der Systemic Design in seiner Lehre verankert hat).

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Theresa Knigge und Jenny Gallen, social design lab, Hans Sauer Stiftung

Das Interview wurde schriftlich geführt.

 

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