Interview mit Nicolas Beucker

Nicolas Beucker lehrt seit 2005 Public & Social Design an der Hochschule Niederrhein. Dort initiierte und leitet er SOUND, das Kompetenzzentrum Social Urban Design der Hochschule Niederrhein. In diesem Rahmen erforscht er partizipative Entwurfsmethoden für lebendige Stadträume.

Im Interview spricht er u.a. über die Lehre an der Hochschule, umgesetzte Master-Projekte, die Rolle des Designs, und Zukunftsperspektiven des Programms.

 

// 23.10.2018

social design lab:

Herr Beucker, im Vergleich zu anderen Studiengängen wie Transformation Design, Eco-Social Design und Advanced Design klingt Ihr Studiengang „Master im Design“ sehr klassisch. Was sagt der Name über den Studiengang aus?

Nicolas Beucker: 

Der Masterstudiengang ist nicht so programmatisch wie z.B. Transformation Design in Braunschweig und Flensburg oder Public Interest Design in Wuppertal. Dennoch ist es uns wichtig, dass die Studierenden eine Haltung zu ihrem Design entwickeln und in verschiedenen Fächern dazu herausgefordert werden, sich mit gesellschaftlichen Problematiken auseinanderzusetzen. Die Masterstudierenden müssen daher humanwissenschaftliche Wahlpflichtfächer wie Philosophie, Ethik und Psychologie belegen, und können Methodenseminare zu Social Design besuchen. Vor allem möchten wir aber unsere Studierenden in ihren eigenen Projekten fördern und ihnen durch gutes Coaching dabei helfen, ihre Talente weiterzuentwickeln.

Zu Beginn hatten wir diskutiert, den sozialen und gesellschaftsorientierten Schwerpunkt in unser Wording zu übernehmen. Da wir aber eine große Vielfalt an Studierenden ansprechen möchten, haben wir uns dagegen entschieden. Die Konzentration auf die eigene Fragestellung führt dann individuell zu der Frage, was man mit seinem Projekt bewirken möchte.

 

social design lab: 

Können Sie ein Projekt beschreiben, in welchem Ihre Studierenden eine „gute Haltung“ zum Design gezeigt haben?

Nicolas Beucker:

Ein Projekt, das wirklich sehr überzeugend war und einen klaren Realitätsbezug hatte, war die Masterarbeit von Nika Rams. Nika hat in ihrem Projekt eine Zeitschriftenserie entwickelt – den veedelfunker – in der es darum ging, das Viertel Köln-Ehrenfeld für nachhaltigeres Handeln zu sensibilisieren. Sie hat über ein Jahr hinweg ein Magazin veröffentlicht, das monatlich wechselnde Themen wie z. B. Energiesparen, Nachbarschaft, Mobilität und Reparatur behandelte. Der Bezug zum Viertel gelang ihr, indem sie passend zum jeweiligen Thema eine Person aus dem Viertel porträtierte, die bereits in diesem Themenbereich aktiv ist. Zusätzlich dazu organisierte sie mit ihrem Team und anderen lokalen Initiativen Aktionen vor Ort. Unter anderem wurde ein Spielplatz renoviert, mit Nüssen als Waschmittelersatz experimentiert und das örtliche Repair-Café unterstützt. Es gelang ihr in ihrer Masterarbeit zu demonstrieren, dass Nachhaltigkeit nichts Abstraktes ist, sondern von jedem im Alltag praktiziert werden kann. Durch die Portraits sind die Themen für die Leserschaft nahbarer und interessanter geworden. Das Magazin hat viele BürgerInnen dazu gebracht, sich aktiv mit den Themen zu beschäftigen. Für die Umsetzung und Finanzierung des Projekts hat Nika Rams mit einer Freundin zusammen eine Förderung der Bundesstiftung Umwelt bekommen.

Ein weiteres sehr gelungenes Masterprojekt war 200 Tage Fahrradstadt von Norbert Krause. Norbert Krause wohnt in Mönchengladbach, einer nicht gerade fahrradfreundlichen Stadt. Sein Ziel war es, für das Fahrradfahren zu werben und darauf aufmerksam zu machen, wie man durch Fahrradfahren die Stadt anders erschließen kann. Über einen Zeitraum von 200 Tagen hat er verschiedene Aktionen durchgeführt, um die Bevölkerung und die Politik dafür zu sensibilisieren. Gestartet hat das Projekt mit ganz kleinen Aktionen wie einer gemeinsamen Fahrradfahrt auf dem Quartiersplatz und einem Single-Tandem-Speeddating. Später hat er die Niederrheinischen Sinfoniker Mönchengladbach/Krefeld dazu eingeladen, ein Konzept von Yoko Ono aufzuführen, welches sie 1962 in ihr Notizbuch skizziert hatte. Darin hieß es: „Ride bicycles anywhere you can in the concert hall. Do not make any noise.“ (Fahre überall, wo es geht, in der Konzerthalle Fahrrad. Mache keinen Lärm.). Norbert Krause hatte Yoko Ono über Facebook kontaktiert (einmal im Monat ist das möglich) und sie um Erlaubnis gebeten, ihre Aufforderung als Performance umsetzen zu dürfen. Mit ihrer Zustimmung radelten beim Bicycle Piece For Orchestra letztlich 40 MusikerInnen in Abendkleidung durch den Konzertsaal und das Foyer. Das Projekt gipfelte ein paar Wochen später in der Sperrung einer Haupteinfahrtsstraße in Mönchengladbach für eine Fahrradsternfahrt.
Ein besonderer Erfolg für Norbert Krause war die Aufforderung des Bürgermeisters 200 Tage Fahrradstadt auch im folgenden Jahr wieder durchzuführen – dieses Mal nicht mehr als Masterarbeit, sondern bezahlt. Durch seine Art des Selbermachens, Vormachens und Mitmachens hat er dazu bewegt, anders über die Nutzung der Umwelt nachzudenken und Verhaltensgewohnheiten zu überdenken.

Der Realitätsbezug liegt mir bei den Projekten sehr am Herzen. Es sollen Projekte entwickelt werden, die tatsächlich im Alltag stattfinden und nicht in der Schublade enden.

 

social design lab: 

Welches Designverständnis sollte DesignerInnen bei ihren Projekten leiten?

Nicolas Beucker: 

Sie sollten den Ehrgeiz haben, durch ihre Gestaltung die Welt ein Stückchen besser zu machen. Gestaltung für reine Profitmaximierung interessiert mich persönlich nicht, denn sie ist oft für ein besseres Leben kontraproduktiv. Eine rein technisch getriebene Gestaltung neuer Produkte ohne die Frage nach deren gesellschaftlichem Nutzen erachte ich ebenfalls als äußerst fragwürdig. Deswegen sollen sich die Studierenden bei ihren Projekten immer fragen, für wen sie etwas entwerfen und welchen Mehrwert sie für die Individuen aber vor allem auch in Bezug auf Lucius Burckhardts „unsichtbares Design“ für das Zwischenmenschliche gestalten.

 

social design lab: 

Demnach beschäftigt sich Design mit weit mehr als mit Dingwelten. In ihrem Beitrag „Public Interest Design – oder die Sehnsucht nach einer gestalteten Daseinsvorsorge“ sprechen Sie davon, dass das Design eine empathische Kompetenz benötigt.

Nicolas Beucker: 

Für uns DesignerInnen halte ich es für unglaublich wichtig, eine empathische Kompetenz zu haben, da wir ja fast nie Experten in den Anwendungsgebieten sind, für die wir gestalten. Wir kennen uns höchstens dann gut aus, wenn wir selbst Teil der Nutzergruppe sind, doch in den seltensten Fällen sind wir das. Wenn es darum geht, für andere zu gestalten, müssen wir in der Lage sein, uns in andere hinein zu versetzten, um besser beurteilen zu können, was für diese Person gut ist. Deshalb erachte ich Seminare und andere Aktivitäten zu Social Design als extrem wichtig. In vielen Designstudiengängen spielt das jedoch eine untergeordnete Rolle.

 

social design lab: 

Hat sich die Rolle des Designs in den letzten Jahren verändert?

Nicolas Beucker: 

Ich weiß gar nicht genau, ob die Rolle des Designers so viel anders ist, als sie es früher war. Die Aufforderung sich in andere hinein zu versetzten, Abläufe und Sinnzusammenhänge, menschliche Psyche sowie soziologische Zusammenhänge zu verstehen, war auch früher schon Aufgabe des Designs. Jedoch denke ich, dass die Notwendigkeit zugenommen hat, sich vermehrt mit Fragestellungen zu beschäftigen, die gesellschaftliche Aspekte des Designs berücksichtigen. Jetzt geht es beispielsweise immer mehr darum, welche Rolle Design für eine gut gestaltete Daseinsvorsorge spielen kann, und welche Möglichkeiten es für die Gestaltung einer weniger wirtschafts- als gesellschaftsorientierte Politik geben kann.

Besonders wichtig finde ich es, DesignerInnen auf der kommunalen Ebene und der operativen Verwaltung früher miteinzubeziehen. Hier gilt es Abläufe zu entwickeln, die es sozial benachteiligten Menschen vereinfacht, Anträge selbstständig und fehlerfrei zu stellen. Städte wie Mönchengladbach zum Beispiel sind in den vergangenen Jahren nicht hinterhergekommen, Kindertagesstätten zu bauen. Aktuell finden sehr viele Eltern keinen Kitaplatz für ihre Kinder. Diejenigen, die den Bedarf einklagen können und so doch zu einem Platz kommen, sind diejenigen, die als Teil des Bildungsbürgertums frühzeitliche Bildung auch in der Familie leisten können. Familien mit einer schlechteren finanziellen Situation sind von einem fehlenden Kita-Platz stärker betroffen. Design kann eine Rolle dabei spielen, solche Wege zu ebnen und gerade kommunikative Prozesse auf kommunaler Ebene zu verbessern.

 

social design lab: 

Bestehen Kooperationen zwischen dem Studiengang und kommunalen Partnern?

Nicolas Beucker: 

Ja, wir arbeiten beispielsweise sehr eng mit dem Krefelder Stadtmarketing zusammen. Jetzt kann man sich fragen, was Marketing mit Social Design zu tun hat. Das Krefelder Stadtmarketing hat sich in den letzten Jahren jedoch sehr darum bemüht, eine bürgernahe Stadtentwicklung in die Wege zu leiten. Mit dem Programm Krefelder Perspektivwechsel werden BürgerInnen dazu motiviert, eigene Themen voranzubringen.

Ganz besonders gut ist auch die Partnerschaft zur urbanen Nachbarschaft Samtweberei. Die verantwortliche Montag Stiftung hat im Samtweberviertel praktisch ein XXL Social Design Projekt initiiert. Eine frühere Projektmitarbeiterin des Kompetenzzentrum SOUND ist heute Projektkoordinatorin im Samtweberviertel. In dem Social Design Fach des Bachelorstudiengangs arbeiten wir immer wieder mit Fallgebern aus dem Viertel zusammen und unterstützen so nachbarschaftliches Miteinander und soziale Institutionen. Ein Projekt konzentrierte sich beispielsweise auf die Förderung altersgerechter Viertel.

 

social design lab: 

Inwiefern ist das Kompetenzzentrum Social Urban Design (SOUND) mit dem Studiengang verbunden?

Nicolas Beucker: 

Das SOUND funktioniert unabhängig vom Studiengang und gründet sich in meinen Forschungs- und Lehrinteressen zu Public und Social Design. Eine unmittelbare Verbindung zwischen der Forschungsarbeit und dem Studiengang existiert nicht, allerdings beziehen wir Studierende des Masterstudiengangs immer wieder in Drittmittelprojekte im SOUND ein.

 

social design lab:

Die Studierenden müssen ihre Gestaltung aber nicht zwangsläufig auf die Generierung sozialen Mehrwerts ausrichten.

Nicolas Beucker:

Das ist richtig. Ab dem zweiten Semester sollen die Studierenden ihr Masterthema unter Betreuung zweier Lehrenden angehen. Ähnlich wie auch bei ihrer Bachelorarbeit müssen die Studierenden ihr Thema bewerben und die passenden Coaches finden. Da gibt es ganz unterschiedliche Themenfelder. Wir hatten schon Studierende, die aus dem Interaction Design kamen und eine Spiele-App entwickelt haben. Auch im Bereich Werbung, Virtual Reality und Textil werden Masterarbeiten geschrieben, die keinen sozial motivierten gesellschaftlichen Bezug haben, aber großartige Arbeiten sind.

 

social design lab: 

Die neu ankommenden Studierenden unterscheiden sich also stark in ihren Interessen, Schwerpunkten und gelernten Disziplinen.

Nicolas Beucker:

Das ist mit Sicherheit ein Punkt, der unseren Studiengang auszeichnet. Die Studierenden kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen, neben Design auch aus Kunst, Architektur, Kulturpädagogik etc. und erfahren somit die Welt des Designs aus verschiedenen Perspektiven. Es ist nicht zuletzt die Diversität unserer Lehrenden, die auch eine Vielfalt an Studierenden anlockt. Dadurch, dass wir im Kollegium unterschiedlichste Fachgebiete durch einzelne KollegInnen vertreten haben, können wir den Studierenden individuell für ihre Interessen Expertinnen und Experten zur Verfügung stellen. In unserem Master lernen die Studierenden Design nicht aus nur einer spezialisierten Profession heraus kennen, sondern vor allem durch den Austausch untereinander, in der Vielfalt der Disziplin Design. Am Ende des Studiums haben sie sich einerseits individuell weiterentwickelt und spezialisiert, gleichzeitig aber auch ein generelles Verständnis designerischen Denkens und Handelns erlernt. Von den Studierenden wird uns immer wieder bestätigt, dass sie dadurch nicht nur von uns Lehrenden, sondern gerade auch von ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen viel lernen.

 

social design lab: 

Demnach erreichen Sie die Zielgruppe an Studierenden, die Sie erreichen wollen.

Nicolas Beucker: 

Ja, das gelingt tatsächlich.

 

social design lab: 

Aus ihrer Erfahrung: Wie kann Design gut gelehrt und gelernt werden?

Nicolas Beucker: 

Ganz banal erst einmal durch das projekthafte, an dem sich jeder Designstudiengang orientiert. Was unser Master ganz besonders leistet, ist dass man sich intensiv der Formulierung der Projektfragestellung widmet. Es geht darum, ein Projektthema zu formulieren, das komplex ist und eine Forschungsfrage beinhaltet, die mit designerischen Mitteln erarbeitet werden kann. Es geht schließlich im M.A. darum, Designfragen zu stellen, die anknüpfungsfähig für weitere Forschung sind.

Eine klassische Aufgabe im Bachelor Produktdesign wäre es, eine Leuchte oder ein Kaffeeservice zu entwerfen. Das Ergebnis ist dann eine Leuchte oder eben ein Kaffeeservice. Wenn wir aber offene Fragstellungen formulieren und z. B. fragen, wie das nachbarschaftliche Zusammenleben verbessert werden kann, dann geht das auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Es kann sein, dass dabei Service Design eine Rolle spielt, dass es um eine Hardware in Form eines Stadtmobiliars geht, genauso gut kann aber auch eine App wie nebenan.de entstehen. Die Fragestellung sollte also so offen formuliert sein, dass man sie erst einmal durchdringen und verschiedene Herangehensweisen abwägen muss. Mit den individuellen Stärken kann dann ein Schwerpunkt gesetzt und die Forschung eingegrenzt werden.

Ein wesentlicher Einfluss unserer Lehre im Master ist daher eine „konstruktive Verunsicherung“ im ersten Semester. Wir leiten die Studierenden dazu an, ihre Themen und ihre Designprozesse immer wieder zu hinterfragen und zu optimieren. Dabei hilft uns wiederum, dass die Studierenden aus den verschiedensten Blickwinkeln auf die Arbeit ihrer Kommilitonen und Kommilitoninnen schauen.

 

social design lab: 

Nun zur letzten Frage: Wo sehen Sie den Studiengang in fünf Jahren?

Nicolas Beucker: 

In fünf Jahren haben wir noch mehr AbsolventInnen, die anhand ihrer Projekte gezeigt haben, wie sehr sie die Realität positiv beeinflussen können. Diese Masterbiographien machen gleichzeitig deutlich, was so ein Studiengang leisten kann.
Ich denke, wir werden dann auch noch einmal über die Akkreditierung nachdenken und überprüfen, ob wir dort Einfluss nehmen konnten, wo wir es uns wünschten.
Wir werden mit unseren AbsolventInnen und Partnern ein großes Netz haben, in dem wir immer wieder von außen gefüttert und kritisiert werden.
Außerdem glaube ich, dass unser Studiengang innerhalb der Hochschule mit anderen, auch technisch orientierten Fachbereichen besser und sinnvoller verzahnt sein wird. Dadurch werden wir Studierenden die Möglichkeit bieten, noch besser voneinander zu lernen und Module aus anderen Studiengängen wahrzunehmen.

 

// Vielen Dank für das Interview.

 

Foto: Stephanie Weiler
Interview: Nadja Hempel, Hans Sauer Stiftung